Stillleben mit geometrischen Formen

Fritz Griebel: Stillleben mit geometrischen Formen, 1936, Kreidezeichnung, 46 x 65 cm, FG 0495

Die Kreidezeichnung ist beispielhaft für Griebels Experimentieren mit Formen. Angeregt vom Kubismus (frz. cube = Würfel), eine der maßgebenden avantgardistischen Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts, verteilte Griebel auf der horizontalen Bildfläche diverse dreidimensionale Körper, wie Zylinder, Kugel und einen rechteckigen Stab sowie zwei Samenkapseln, deren Samen sich aus der Kapsel im unteren Bildteil ergießen.

Bis auf wenige Ausnahmen sind die geometrischen Körper weiß belassen. Plastisch moduliert werden sie durch prägnante Schattenpartien. Auffällig ist das Ineinanderübergleiten zweier Körper – zu beobachten bei den schmalen Zylindern links im Bild sowie bei Kugel und Stab. Merkwürdig mutet auch der schmale gelbliche Zylinder an, denn sein Schatten scheint sich vom Körper zu lösen. Es ist, als ob sich die Gegenstände in diesem Stillleben bewegen! Sie scheinen wie die obere Kugel zu schweben und gleichzeitig wie der Hohlzylinder fest auf den imaginierten Boden zu stehen. Auch scheint die Perspektive von einer Aufsicht zur Seitenansicht zu wechseln: Während der weiße Zylinder links am Bildrand in Aufsicht gezeichnet ist, sind die zwei weißen dicken – gegen das physikalische Gesetz – übereinander gelegten Zylinder im unteren Bildrand von der Seite gezeichnet.

Griebels Stillleben ist paradox – ein Gedankenexperiment. Es vereinigt Bewegung und Stillstand, Separierung und Symbiose, Natur und Kultur. Dichotomien des Lebens sind hier auf scheinbar einfache Weise veranschaulicht. Griebel erweitert den traditionellen Begriff des Stilllebens, indem er den Kreislauf des Lebens abstrahiert darstellt – ein scheinbar unverfängliches Thema zur Zeit des Nationalsozialismus. Denn das ohnehin prekäre Gleichgewicht der Körper untereinander kann auch als aus den Fugen geraten gedeutet werden.

Antje Buchwald 2018
Kunsthistorikerin