Im Profil

Fritz Griebel: Im Profil, 1932, Papier collés (59m x 45 cm)

Zu Beginn der 1930er-Jahre experimentierte Fritz Griebel mit weiteren Gestaltungsmöglichkeiten des Papiers. Entwickelte er in seinen Scherenschnitten eine auf der Antike basierenden Formensprache, entstand gleichzeitig eine Serie von Papiers collés.

Das Papier collé (geklebtes Papier) entwickelte Georges Braque (1881–1963) im Zuge der kubistischen Malerei, die geprägt ist vom Verzicht der Zentralperspektive sowie des Aufgliedern des Gegenstandes in geometrische Formen. Bei einem Papier collé werden fragmentierte, außerkünstlerische Materialien wie faux-bois-Tapete, eine mit Holzmaserung versehene Tapete, Zeitungspapier und so weiter auf die Papierfläche geklebt. Diese werden mit Strichen, Linien, Zeichnungen und Schattierungen teilweise übermalt, um sie in den neuen Bildkontext formal zu integrieren. Das industriell gefertigte Fremdmaterial ist nicht autonom, unterliegt es doch der malerischen Konzeption des Bildes als Fläche. Es konturiert keine eigenständige Form, da gerade ihre Ungeformtheit Bedingung für die Darstellung und das Erkennen einer bestimmten Gegebenheit sind.

Griebel klebte nun in der Mitte einer blaugrauen Papierfläche weiße und gelbliche Papierschnitte, die in Zusammenschau mit Tuschelinien ein menschliches Profil erzeugen. Ein vertikal angeordnetes großes Rechteck, aus dem er oberhalb einen Kreis herausschnitt, dessen Positivschnitt sich links vor dem Rechteck befindet, in dem er wiederum einen negativen kleinen Kreis ausschnitt, ist die Gesichtshälfte; ein Halbmond schmiegt sich um den Papierkreis.

Ein kleineres Rechteck klebte Griebel vertikal über den unteren Bereich des großen Rechtecks. Es ist der Hals des Porträtierten. Drei dünnere weiße Papierstreifen klebte Griebel im Stirn- und Nasenbereich, die jeweils zur Hälfte aus dem ,Gesicht‘ herausragen.

Über die Schnittformen zeichnete Griebel das Gesicht im strengen Profil, wobei die Proportionen leicht übertrieben sind. Der Negativkreis ist in Höhe des gezeichneten halbgeöffneten Auges. Er kann als Auge interpretiert werden und zeigt nach kubistischen Prinzipien verschiedene Perspektiven einer Sache gleichzeitig als „vierte Dimension“.

Die schräg vom Kopfansatz herabfallenden Linien und Kreise erwecken den Eindruck von Haar. Sie bilden das kompositorische Gleichgewicht zu den Schnittformationen auf der linken Bildhälfte. Aus Kreisen, Rechtecken und Linien schafft Fritz Griebel eine Schnittzeichnung des menschlichen Antlitz in universeller Form.

Antje Buchwald 2020