Das Kolosseum

Fritz Griebel: Das Kolosseum, 1932, Aquarell, 38 x 51 cm.

Römische Elegien
Saget, Steine, mir an, o sprecht, ihr hohen Paläste!
Straßen, redet ein Wort! Genius, regst du dich nicht?
Ja, es ist alles beseelt in deinen heiligen Mauern.
Ewige Roma; nur mir schweiget noch alles so still.
O, wer flüstert mir zu, an welchem Fenster erblick‘ ich
Einst das holde Geschöpf, das mich versengend erquickt?
Ahn‘ ich die Wege noch nicht, durch die ich immer und immer
Zu ihr und von ihr zu gehn, opfre die köstliche Zeit?
Noch betracht‘ ich Kirch‘ und Palast, Ruinen und Säulen,
Wie ein bedächtiger Mann schicklich die Reise benutzt.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

Italien galt deutschen Reisenden seit der Renaissance bis ins frühe 20. Jahrhundert fast als Mythos. Besonders auf bildende Künstler übte Italien und Rom im Besonderen ein Faszinosum aus. Die „Ewige Stadt“ galt jahrhundertelang als Inbegriff weltlicher und christlicher Geschichte, als „Caput Mundi“ und „Kosmos im Kleinen“. In Rom wandelt man auf den Spuren der Antike, des Mittelalters, der Renaissance und des Barocks. In Rom fand Goethe auf seiner „Italienischen Reise“ zu sich selbst, hier sei er „übereinstimmend“ mit sich selbst sowie „glücklich und vernünftig“ geworden.

Die „Gesellschaft für zeichnende Künste“ in Nürnberg zeigte 1933 die Ausstellung „Fritz Griebel – Italienreise“. An die sechzig, zwischen 1929 und 1933 entstandenen Aquarelle und Zeichnungen, vermutlich auch Scherenschnitte, wurden hier präsentiert. Vielleicht gehörte auch das hier vorgestellte Bild dazu.

Kolosseum, April 2007 (Foto: David Iliff)

Die Ruine des Kolosseums stellt noch heute ein eindringliches Beispiel römischer Nutzarchitektur dar. Erbaut zwischen 72 und 80 n. Chr. zählt das „Amphitheatrum Flavium“ zum größten Amphitheater der antiken Welt und zum größten geschlossenen Bau der römischen Antike. Der Name geht auf eine Kolossalstatue des Kaisers Nero zurück, die neben dem Amphitheater stand.

Der ellipsenförmige Grundriss hat die äußeren Maße 188 x 156 m, die der Arena betragen 86 x 54 m. Um das Kolosseum legt sich ein 17,5 m breites Travertinpflaster mit Schlusssteinen, die wohl für Absperrungsmaßnahmen benutzt wurden.Die 48,5 m hohe Außenwand gliedert sich in vier Stockwerke. Die unteren drei Geschosse aus grauem Travertin zeigen jeweils achtzig Arkadanbögen auf Pfeilern mit vorgeblendeten Halbsäulen, die von unten nach oben im dorischen, ionischen und korinthischen Stil gehalten sind, den Stilen griechischer Tempel. Am vierten Geschoß sind Konsolen angebracht, die die Masten für das Sonnensegel (velum) aufnehmen sollten.

Fassade über Eingangsbereich (Foto: David Iliff)

In der Arena fanden während der Kaiserzeit Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen statt. Jeder freie Bürger Roms hatte kostenlosen Zutritt zu diesen blutigen Darbietungen. Zu fast allen Spielen gehörte auch die Exekution von Verurteilten, vor allem durch die „damnatio ad bestias“, den Tod durch wilde Tiere. Seit 1999 fungiert das Kolosseum auf Initiative mehrerer Menschenrechtsorganisationen als Denkmal gegen die Todesstrafe.

Fritz Griebel, der zeit seines Lebens Italien bereiste, hinterließ uns einen äußerst interessanten Blick auf die antike Ruine. Ein mächtiger Steinquader verstellt fast den Blick auf das sich noch heute in Rom befindliche antike Bauwerk. Er malte sein Bild aus einer sehr spannenden Betrachterperspektive heraus: Er zeigt die drei Arkadenreihen und angedeutet das vierte Geschoß der Fassade sowie die zwei innen hinter der Fassade folgenden tonnenüberwölbten Korridore. In den Zwischenräumen befanden sich die komplizierten, aber mit höchster Zweckmäßigkeit angelegten Treppensysteme. Griebel demonstriert uns demnach die Bruchstelle zwischen Außenmauer und inneren Korridoren.
Rechts vom Kolosseum befindet sich die so genannte Meta Sudans, eine Brunnenanlage, bei dem in einem Wasserbecken eine kegelförmige Meta (Wendemarke eines römischen Circus) steht; von ihrer Spitze aus lief das Wasser in das Becken. Bis 1936, also noch vier Jahre, nachdem Griebel dieses Bild malte, befand sich dort diese Brunnenanlage.

Kolosseum um 1858 mit Meta sudans.

Die Architekturzeichnung diente Griebel wahrscheinlich als Reiseskizze, die jedoch auf Grund ihrer ausgeklügelten Kompostion über den Status eines Entwurfs hinausgeht. Vorder- und Hintergrund sind miteinander verwoben. Der große Steinquader gilt als Referenz auf die Ruine des Kolosseums. Der Steinquader kann als Index gelesen werden, der auf die antike Vergangenheit Roms anspielt. Mit diesem künstlerischen Schachzug gelingt es Fritz Griebel auf der Metaebene Vergangenheit und Gegenwart Roms zu vergegenwärtigen und gleichzeitig eine sehr stimmungsvolle Impression Roms wiederzugeben.

Antje Buchwald