Mauern in Cervo

Fritz Griebel: Mauern in Cervo, 1963, Aquarell, 46 x 60 cm.

Fritz Griebel besuchte die italienische Gemeinde Cervo in der ligurischen Provinz, am östlichen Hang vom Golf von Diano Marina gelegen, in den 1960er Jahren dreimal mit seinen Studenten. Zahlreiche Aquarelle sind aus dieser Zeit überliefert. Sie zeigen Impressionen der mittelalterlichen Stadt: Gebäude, Vegetation, Strandgut, aber auch Fischer bei der Arbeit.

Dieses hier vorgestellte Bild ist besonders reizvoll. Griebel wählte ein unspektakuläres Sujet: eine Steinmauer. Im Gegensatz zu dem Aquarell „Das Kolosseum“ aus dem Jahr 1932 dominieren hier dicke Pinselstriche, welche der Künstler in impressionistischer Manier auf das Papier auftrug. Nahezu abstrakt wirkt die malerische Umsetzung der Gegebenheit. Der Seheindruck wird in künstlerische Zeichen transformiert.

Eine weißgekalkte Außenmauer gibt den Blick auf einen vermeintlichen Innenhof frei. Doch der Blick des Betrachters wird durch eine Steinmauer verstellt. Deutlich sind rechteckige grüne, ocker und schwarz-graue Steine zu erkennen. Dunkle, vielleicht verdorrte Äste ragen aus dem Mauerwerk heraus. Griebel zeigt uns hier sehr wahrscheinlich ein zusammengefallenes Haus, eine Ruine.

Die Pinselstriche deuten auf eine rasche Wiedergabe hin. Das Bild demonstriert, dass Griebel sich als Künstler emanzipiert hat. Wählte er bereits für „Das Kolosseum“ einen ungewöhnlichen Betrachterstandpunkt, indem er einen großen Steinquader in den Mittelpunkt des Betrachters rückte, so zeigt er uns hier nichts weiter als Steine. Während er uns in dem Aquarell von 1932 noch eine bedeutende touristische Attraktion vorführte, verzichtete er hier vollends darauf; schließlich hätte er die Burg von Cervo malen können.

Hervorzuheben ist das Einbeziehen weißer Flächen in die Komposition. So konstituiert sich die weiße Außenmauer ausschließlich im Zusammenklang unbehandelter, weißer Flächen des Papiers und großer farbiger Flächen. Dieses Stilelement setzt sich im gesamten Bildaufbau fort. Griebel setzte die Technik des Aquarellmalens hier sehr meisterlich um.

Die Aquarellmalerei kennzeichnet eine freiheitliche, antiklassische Haltung, die besonders antiakademische Künstler der Moderne ansprach. Zunächst entdeckten Impressionisten das Aquarell als eine Option, flüchtige, atmosphärische Augenblicke direkt in der Natur und nicht im Atelier festzuhalten. Die Gruppe der Fauves und der Expressionisten interessierten sich dann vor allem für die Darstellung gesteigerter Farben und Formen. Schließlich rückt in der Kunst seit 1945 das Gestische in den Fokus der Aquarellmalerei. Fritz Griebels Aquarell, entstanden während einer Studienreise mit seinen Studenten, oszilliert zwischen gegenstandsbezeichnend und gegenstandsauflösend, zwischen Tradition und Moderne.

Antje Buchwald