Himmelskönigin und Christkönig

Fritz Griebel: Tapisserie, 1952, 232 x 200 cm, Münchener Gobelin–Manufaktur, Pfarrkirche Christkönig, Neuhausen-Nymphenburg.
Fritz Griebel: Tapisserie, 1951/52, 232 x 200 cm, Nürnberger Gobelin-Manufaktur, Pfarrkirche Christkönig, Neuhausen-Nymphenburg.

Recherchen für das 2021 im Röll-Verlag in Dettelbach am Main erscheinende Buch Fritz Griebels Tapisserien & andere textile Arbeiten (Arbeitstitel) von Frederike Schmäschke führte die Fritz Griebel-Nachlassverwaltung in die Pfarrkirche Christkönig in München, wo die Tapissierie „Himmelskönigin“ aufbewahrt wird. Es stellte sich heraus, dass die Kirche im Besitz eines weiteren Bildteppich Griebels ist – „Christkönig“ – ohne es bisher zu wissen. Beide Wandteppiche in Wirktechnik sollen nun vorgestellt werden.

Sechsunddreißig Bildteppiche, für die Griebels die Kartons fertigte, sind bisher bekannt. Sie entstanden im Zeitraum von 1949 bis 1966 und wurden von der der Akademie angegliederten Nürnberger Gobelin-Manufaktur (1941–2004) ausgeführt. Angeregt durch Irma Goecke (1895–1976), Professorin und künstlerische Leiterin der Manufaktur, begannen auch einige Akademieprofessoren sowie Schülerinnen der Textilfachklasse, sich mit der Technik des Bildteppichs auseinanderzusetzen. Sie gestalteten Kartons, das heisst originalgroße Vorlagen für die Umsetzung in Wirkerei. Die Farbübergänge und die Gestaltung von Schraffuren mussten sie genau angeben, was bedeutet, sie mussten eine präzise Vorstellung von dem entstehenden Wandbehang haben. Griebels Bildteppiche sind Auftragsarbeiten gewesen. Vor allem öffentliche Auftraggeber wie beispielsweise die Handwerkskammer Mittelfranken, die Bayerische Staatsbank, das Oberlandesgericht Nürnberg, der Bundesrechnungshof, die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung oder der Bayerische Mütterdienst sind hier zu nennen.

Für die Pfarrkirche Christkönig entstand das Diptychon „Himmelskönigin und Christkönig“ als Auftragsarbeit. Der Bildteppich „Himmelskönigin“ zeigt Maria, die das Jesuskind in ihren Armen hält, leicht nach rechts geneigt auf einer Mondsichel kniend, die von einer Wolke umfangen wird. Ein Heiligenschein umgibt Mutter und Sohn. Unterhalb der Wolke ist das Schloss Nymphenburg in München zu sehen.

In der christlichen Ikonografie bezeichnet man diesen Typus eines Marienbildnisses als „Mondsichelmadonna“ oder „Himmelskönigin“ (lat. regina coeli). Es geht zurück auf die Schilderung des apokalyptischen Weibes in der Offenbarung Johannes. Dort heisst es:

Apokalyptisches Weib/Mondsichelmadonna
im Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg, 12. Jh. Quelle: Wikimedia Commons (10.07.2020).

„Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen. Ein anderes Zeichen erschien am Himmel: ein Drache, groß und feuerrot, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und mit sieben Diademen auf seinen Köpfen. Sein Schwanz fegte ein Drittel der Sterne vom Himmel und warf sie auf die Erde herab. Der Drache stand vor der Frau, die gebären sollte; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es geboren war. Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der über alle Völker mit eisernem Zepter herrschen wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt.“ (Offb, 12,1–5 EU)

Griebel verzichtete auf die Darstellung des Drachens beziehungsweise der Schlange. Er konzentrierte sich ganz auf die Herrlichkeit Marias. Ihr Haupt ist bekrönt. Ihr langes blondes Haar wird von der blauen Pänula, einem glockenförmigen Überwurf, fast verdeckt. Das Gewand, auf dem gelbe Sterne verteilt sind, ist nicht wie sonst üblich blau, sondern in der Herrschaftsfarbe Rot. Während Maria in sich gekehrt ist, blickt uns das mit einem Rosenkranz spielende Jesuskind an.

Die Farbpalette beschränkt sich auf Blau mit seinen Abstufungen sowie Rot und Grau. Auf dem dunkelblauen Hintergrund ist im gleichmäßigen Abstand die heraldische Lilie, die von einem Band zusammengehalten gehalten wird, abgebildet. Sie besteht aus drei stilisierten Blättern, von dem das mittlere oben und unten zugespitzt ist und die äußeren herab hängen und nach außen umgebogen sind. Lilie, Sonne und Mond sind Symbole der Reinheit Marias.

Fleur-de-Lis (Lilienblume, französische Lilie)

Unter dem Namen Fleur-de-Lys oder Fleur-de-Lis (Lilienblume, französische Lilie) ist die Lilie in der französischen Heraldik das wohl bekannteste Symbol der französischen Monarchie. Eine im hohen Mittelalter aufkommende Legende besagt, das dem Merowingerkönig Chlodwig I. (466–511) von einem aus dem Himmel herabgestiegener Engel die Lilie überreicht wurde. In einer anderen Version empfängt Königin Chrodechild (um 474–544) die Lilie, um sie ihrem Mann zu überreichen. Die Lilie galt als unverkennbares Symbol, Chlodwigs Anspruch auf königliche Autorität unmittelbar von Gott erhalten zu haben, ohne Vermittlung des Papstes oder Kaisers.

Als Mutter Gottes hat Maria an der himmlischen Herrlichkeit ihres wiederauferstandenen Sohnes Anteil. Seit dem 12. Jahrhundert verbindet sich mit der Vorstellung der himmlischen Krönung Marias ihre Anrufung als „Königin“, „Himmelskönigin“ oder „Königin der Engel“.

Bedford Master: Die heilige Königin Chrodechild empfängt von einem Engel die Fleur-de-Lys und überreicht sie ihrem Mann, König Chlodwig I. Aus dem Stundenbuch des Duke of Bedford, um 1423, British Library, Inv. Nr.: Add MS 18850 [f. 288v]. Quelle: Wikimedia Commons (10.07.2020).
Das Pendant zur „Himmelskönigin“ ist die Tapisserie „Christkönig“. Unter diesem Titel beziehungsweise „Christus König“ (lat. Dominus lesus Christus Universorum Rex – „Unser Herr Jesus Christus, König des Universums“) wird Jesus Christus verehrt. Allgemein zeigt ein Christusbild die Darstellung des Sohnes Gottes und seine Fleischwerdung des „dreiinigen Gottes“. Dem Bildnis kam hierbei die Aufgabe zu, der komplizierten und im Verlauf der wechselnden gesellschaftlichen Funktionen der Religion die sich verändernde Vorstellung vom „menschgewordenen Gott“ massenwirksam zu veranschaulichen. Die Spannweite des künstlerischen Ausdrucks reicht je nach Funktion und Interesse vom triumphierenden und herrschenden Gott, bis zum leidenden Gottessohn, der Passion und Kreuzigung auf sich genommen hat.

Fritz Griebel zeigt seinen „Christkönig“ als Gekreuzigten in einem weißen mit goldfarbenen Kreuzen und Ornamenten reich verziertem Ornat. Auf dem Kopf, der von einem Nimbus umfangen wird, trägt er eine Krone. Sein Kopf ist leicht nach rechts gerichtet, der Blick schweift in die Ferne. Die hellbraunen Haare sind kurz geschnitten. Ein Bart bedeckt das schöne Gesicht. Die Darstellung des Gekreuzigten (Cruzifixus) mit einer Krone ist seit Konstantin I. (272–337) belegt. Zahlreiche ottonische und romanische Kreuze zeigen die Übertragung der kaiserlichen Ikonographie auf Christus.

Christus am Kreuz mit Königskrone, 13. Jh., Volto Santo von Luca. Foto: Joanbanjo, Febr. 2011. Quelle: Wikimedia Commons (11.07.2020).

Jesus Christus, der kam, um die Menschen zu versöhnen und „Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut (Kol 1,12–20 EU), wurde als „Herrscher über Könige der Erde“ (Offb 1,4 EU) und „König der Könige und Herr der Herren (Offb 19, 16 EU) angesehen. Er soll die endzeitliche Königsherrschaft Gottes im Reich Gottes herbeiführen. Jesus bezeichnete sich selbst als „König“ (MT 25,31–40 EU). So sagte er vor Pilatus: „Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege.“ Aber nicht im Triumphzug und ohne irdischen Herrschaftsanspruch: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt.“ (Joh 18,36–37 EU)

All dies lässt sich in Fritz Griebels Jesusdarstellung wiederfinden. Er ist weltlich und göttlich zugleich.

Unbekannter Künstler: Herz Jesu, 19 Jh. Quelle: Wikipedia.org (12.07.2020).

Auf seinem Ornat befindet sich an Stelle seines Herzens eine flammendes Herz, das sogenannte Herz-Jesu. Es symbolisiert Jesus Liebe. Es ist Ausdrucksform römisch-katholischer Spiritualität. Das durchbohrte Herz des am Kreuz Verstorbenen gelten als Quelle der Sakramente und Kirche: „Aus seiner geöffneten Seite strömen Blut und Wasser, aus seinem durchbohrten Herzen entspringen die Sakramente der Kirche. Das Herz des Erlösers steht offen für alle, damit sie freudig schöpfen aus den Quellen des Heiles.“ (Präfation der Votivmesse vom Heiligsten Herzen Jesu)

Zu Jesus‘ Füßen knien Johannes der Apostel und Maria Magdalena (Maria von Magdala). Die Begleiterin Jesu trägt ein rot-braunes ärmelloses Kleid. Ihr Gesicht ist im Dreiviertelprofil wiedergegeben, ihre Gesichtszüge sind fein akzentuiert; das lange blonde Haar fällt herab. Andächtig wäscht sie Jesus‘ Füße. Papst Gregor I. (um 540–604) setzte sie in einer Predigt im Jahr 591 mit der anonymen Sünderin gleich, welche Jesus die Füße wusch. (Lk, 7, 36–50 EU) Jesus selbst wusch während des letzten Abendmahls die Füße seiner Jünger. Er wollte ihnen damit zeigen, dass sie auch untereinander zu dienen bereit sein müssen. (Joh 13–17 EU) Die Fußwaschung ist eine rituelle Handlung, die im Orient Gastfreundschaft symbolisierte. Auf das letzte Abendmahl weisen auch die christlichen Symbole Weintrauben und Kornähren im Rahmen der Tapisserie hin.

Johannes, der „Lieblingsjünger“ Jesu, trägt ein rotes Gewand mit einem blauen Überwurf. Sein Kopf ist wie der von Maria Magdalena von einem Nimbus umgeben und nach hinten geneigt. Er blickt zu Jesus hoch, seine Hände sind flehend zu ihm gerichtet. Er erhielt von Jesu einen besonderen Fürsorgeauftrag:

Fritz Kruspersky: Kreuzigung Jesus („Missionsbild“), um 1935, Aquarell, Gouache über Bleistift, 11,5 x 7,5 cm. Quelle (12.07.2020).

„Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als Jesus die Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zur Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“ ( Joh 19,25–28 EU)

Fritz Griebel konzentrierte sich in seiner Darstellung auf Johannes und Maria Magdalena. Sie war es, die der Kreuzigung aus der Ferne beiwohnte, beim Begräbnis half, am Ostermorgen das leere Grab entdeckte, den Jüngern hiervon berichtete und als erste Jesus nach seiner Auferstehung begegnete und die Botschaft hiervon weiter gab. Johannes gilt traditionell als einer der vier Evangelisten sowie der Verfasser der drei Johannesbriefe und der Verfasser der Offenbarung des Johannes. Sie werden das Reich Gottes verkünden, welches der Christkönig bereits aufscheinen sieht.

Fritz Griebels Diptychon kennzeichnet eine ausgeprägte Sensibilität in der Darstellung und Auslegung religiöser Inhalte. Die „Himmelskönigin“ und ihr Sohn, der „Christkönig“, sind Andachtsbilder, die durch ,plastische‘ Schilderung der Figuren nicht jenseitig sind, sondern im Hier und Jetzt verankert sind.

Antje Buchwald

Literatur:
Engelbert Kirschbaum (Hg.): Lexikon der christlichen Ikonographie. Rom/Freiburg/Basel u.a. 1994/2004, Bd.1, Stichwort: Christus, Christusbild, Sp. 355–454, bes. Sp. 403; Bd. 2, Stichwort: Herz Jesu, Sp. 250–254; Bd. 3, Stichwort: Maria, Marienbild, Sp. 154–210.