Dieser Bildteppich steht stilistisch im Kontext mit dem „Weihnachtsgobelin“ von Fritz Griebel, der sich ebenfalls in der Kirche St. Leonhard befindet. Auch hier erzählt uns der Künstler zwei Geschichten aus der Bibel. Im Gegensatz zum „Weihnachtsgobelin“ ist diese Tapisserie symbolisch stärker codiert.
Aus einem Bericht des damaligen Pfarrres Ludwig Fischer in der Zeitung „Kirche und Kunst“ aus dem Jahr 1961 ist zu entnehmen, dass der „Ostergobelin“ ein integraler Bestandteil der Innenarchitektur sein sollte: „Bereits vor dem Wiederaufbau der Leonhardskirche wurde geplant, einen Bildteppich aufzuhängen und der Altar, der nur eine Mensa werden sollte, durch den Gobelin einen gewissen Abschluss und Hintergrund haben könnte. Weil nun die Farbfenster figürlich gearbeitet wurden, wollten wir beim Teppich Symbole darstellen.“ Die Verwendung einer Symbolsprache ging mit Sicherheit vom Künstler Fritz Griebel aus, der mit diesem Bildteppich wieder einmal sein Gespür für Farben und Formen demonstriert.
Betrachtet man sich den Teppich, so fällt sofort seine Zweiteilung auf. Denn die linke Bildhälfte ist deutlich dunkler gehalten. Drei graue Kreuze heben sich von violetten Farbflächen ab. Auf den Kreuzen sind weiße Farbflächen mit hellblauen gezackten Flächen zu sehen. Unterhalb der Kreuze wachsen gelbe Ähren und Weinstöcke mit dunkelblauen Trauben. Mit diesen wenigen Formen stellt Griebel die Kreuzigung Jesu am Karfreitag dar. Die weißen über die Kreuze drapierten Farbflächen sind als Leichentuch Christi zu deuten und weisen auf seine Auferstehung zu Ostern hin. Die violetten und dunklen Farbflächen stehen für die Leiden Christi am Kreuz. Getreide und Trauben – Brot und Wein – deuten auf das Abendmahl hin, bei dem es gereicht wird. Es soll die Anwesenheit Jesus verkörpern.
Fritz Griebel löst sich von der traditionellen christlichen Ikonografie, nach der Jesus Christus zusammen mit zwei Dieben auf dem Hügel Golgata (Schädelstätte) ans Kreuz geschlagen wurde. Er zeigt uns auch kein weiteres Figurenpersonal wie z.B. Soldaten oder Maria und Johannes wie bei der Kreuzigung von Antonello da Messina (um 1430-1479), bei der die Leiber der gekreuzigten Diebe sich voller Schmerz winden. Und der Leib Christi reglos am Kreuz hängt, sein Kopf nach links geneigt ist, die Augen geschlossen hält und blind auf Gott zu vertrauen scheint. Fritz Griebel genügen lediglich Farbflächen, um Jesu zu symbolisieren und seine Leiden und Zweisprache mit Gott zu veranschaulichen.
Die rechte Bildhälfte leuchtet mit sattem Rot und Goldgelb. Im Zentrum ist ein Lamm in Seitenansicht mit einer Fahne in einem gelben Kreis einbeschrieben.Unterhalb des Kreises sehen wir blühende violette Tulpen und weitere Pflanzen. Der Kreis wird von vier hellen Kreuzen flankiert. Auch die Auferstehung Christi ist nicht traditionell erzählt. Griebel verzichtet auf die Darstellung des geöffneten Sargs, wie in dem Gemälde von Dieric Bouts (1410-1420-1457), bei dem Wächter und ein Engel anwesend sind. Jesus Christus ist frontal mit Segnungsgestus und Kreuz gemalt, an dem eine Siegesfahne im Wind weht.
Fritz Griebel, der sich ja die Aufgabe stellte eine symbolische Bildsprache zu finden, greift hingegen auf die alte Darstellung des Lamm Gottes zurück. Als Osterlamm, gekennzeichnet durch die Siegesfahne (rotes Kreuz auf weißem Grund), ist es ein Symbol für die Auferstehung Christi, soll die Siegesfahne doch den Sieg Jesu über den Tod und damit seine Auferstehung symbolisieren. In diesem Kontext sind auch die blühenden Tulpen zu deuten. Ursprünglich aus Persien stammend, ist die Tulpe ein Symbol für Leben und Fruchtbarkeit. Der Mensch kann einen Neuen Bund durch Christi Tod direkt mit Gott eingehen. Der goldgelbe Ring kann hierfür ein Symbol sein.
Beide Bildhälften sind vergleichbar aufgebaut. Sie sind deutlich von einander separiert und doch durch die roten und dunkelroten Farbflächen als Hintergrund miteinander verbunden. Fritz Griebel gelingt es mit diesem Entwurf zu einer Tapisserie, eine moderne christliche Ikonografie zu entwerfen.
Vielen Dank an Pfarrer Thomas Grieshammer von der Evang.-Luth. Kirchengemeinde St. Leonhard-Schweinau für die freundliche Bereitstellung der Gobelin-Abbildung. Der Gobelin ist während der Gottesdienste zu besichtigen; bei Anfragen ausserhalb der Gottesdienste bitte an den Mesner wenden (Schwabacher Straße 56, direkt neben der Kirche).
Mehr Informationen: www.leonhard-schweinau.de