Abstrakte Komposition auf blauem Grund

Fritz Griebel: Abstrakte Komposition auf blauem Grund. 1962-1965, Kreidezeichnung, 45 x 59 cm.

Die künstlerischen, kunsttheoretischen und kulturpolitischen Entwicklungen deutscher Kunst nach 1945 wurden erst in den letzten Jahren intensiver von der Kunstgeschichte untersucht. Als der Krieg im Frühjahr 1945 zu Ende ging, brachte er für die bildende Kunst keine entscheidende Wende. Deutschland war unbestreitbar durch die faschistische Abschnürung von der Moderne und der Verlagerung künstlerischer Aktivitäten nach New York an die Peripherie der Kunst geraten.

Anknüpfungspunkte suchte man deshalb an die Zeit vor 1933 und befragte verschiedene Stilrichtungen auf ihre Eignung für die Gegenwart. Doch Expressionismus und Surrealismus erwiesen sich als nicht mehr zeitgemäß. Eine Alternative bot die Abstraktion. Sie rückte Mitte 1946 in den westlichen Besatzungszonen ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Man erkannte in ihr einen künstlerischen Aufbruch in die Zukunft, da »die Abstraktion nicht in Zweifel und Verzweiflung, Klage und Anklage, kurz nicht in einer Deformierung beharrt, sondern schon beinahe restlos in einer positiven, schöpferischen Neusetzung aufgeht […]« (Kurt Leonhard 1947). Als Hauptvertreter der Abstraktion galt neben Wassily Kandinsky (1866-1944) vor allem Paul Klee (1879-1940), der seit Mitte 1946 als Vaterfigur für nachwachsende Künstlergenerationen propagiert wurde.

Fritz Griebel: Komposition aus vegetabilen Zeichen, 1962-65, Kreidezeichnung, 50 x 65 cm.

Fritz Griebel wurde 1946 Professor für Malerei und freie Grafik an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg und zwei Jahre später auch deren Direktor. Seine Ernennung verdankte er nicht nur seinen künstlerischen Leistungen, sondern auch seiner ablehnenden Haltung gegenüber des NS-Regimes. Griebels begonnene Auseinandersetzung mit der Abstraktion in den 1930er-Jahren musste er auf Grund der politischen Verhältnisse einstellen (vgl. hierzu Stillleben mit schwebenden Stäben, Ei und Birnen).

Doch auch in der Nachkriegszeit konnte sich Fritz Griebel nicht ausschließlich seiner Kunst widmen. Seine Tätigkeit als Dozent und Direktor ließen oft nur wenig Zeit übrig. Es gelang ihm jedoch, seinen in den 1930er-Jahren begonnen Weg nun doch weiterzugehen.

Die Kreidezeichnung »Abstrakte Komposition auf blauem Grund« gehört zu einer Serie, in der Griebel Erscheinungen der Wirklichkeit in abstrakte Bildzeichen transformierte. Auf einem blauen Grund heben sich konturiert farblich gefasste Formen ab. Ein hellblauer Streifen in der Bildmitte separiert das Bild in zwei Hälften. Auf der linken Seite sehen wir einen großen roten Kreis, mehrere kleinere in orange, weiß und rosa sowie einen in der Mitte perforierten Kreis. Ein weiß-blaues Dreieck, das ebenfalls durchbrochen ist und den blauen Grund freigibt, überschneidet sich mit dem roten und orangefarbenen Kreis, sodass sich die Farben in den Schnittstellen mit der Farbe des Dreiecks vermischen. Unterhalb des Dreiecks erblicken wir eine kreuzähnliche braune Form, die sich mit dem perforierten Kreis und Dreieck berührt. Paradoxerweise malte Griebel den Berührungspunkt mit dem weiß-blauen Dreieck nicht hellbraun, sondern schwarz. Es entsteht ein schwarzes Quadrat.

Auf der rechten Seite sehen wir eine grün-blaue Figur, die fast von der unter ihr sich befindenden rot-orangen Figur gespiegelt wird. Es handelt sich hierbei um stilisierte Idole, die zahlreiche Schnittbilder und Gemälde Fritz Griebels bevölkern. Unterhalb der Arme des grünen Idols fügte der Künstler eine kreuzähnliche rosafarbene Form ein. Sie ist ein Gegenpol zu der braunen Form auf der linken Bildhälfte. Im Zentrum der rosafarbenen Form brachte Griebel einen gelben Farbverlauf auf. Neben dem roten Idol schließt eine schwarze Form die Formenwelt ab. Sie greift die Haltung der nach unten gerichteten Arme des roten Idols auf. In der Öffnung des schwarzen Halbbogens deutete Griebel einen hellblauen Kreis an.

Auffällig ist, dass auf der linken Bildhälfte fast alle Formen buchstäblich miteinander in Berührung stehen. Griebel verwendete bis auf wenige Ausnahmen nur gemischte Farben, die den flachen Formen eine gewisse Tiefe gibt. Geometrische und archaische Formen gehen eine Struktur ein. Sie wird vom Gestaltwert der Farbe bestimmt.

Paul Klee: Rote Brücke, 1928, Aquarell.

Formal erinnert die Kreidezeichnung an Paul Klees seit 1920 entwickelter Bildnerischen Formenlehre. Von zentraler Bedeutung ist die Frage nach dem Verhältnis von Flächeninhalt, Form und Farbe. In dem Aquarell »Rote Brücke« beispielsweise ordnete Klee auf einen blauen Grund verschiedene Formen, wie Rechtecke, Quadrate und Kreise dergestalt an, dass sie eine Stadt mit einer roten Brücke und gelber Sonne oder Mond darstellen.

Inhaltlich fand Fritz Griebel durch eigene Rückschau auf sein bisheriges Werk sowie in ständiger Entwicklung seiner Bildsprache Anschluss an die internationale Abstraktion der Nachkriegszeit. Mit der Reduzierung auf Form und Farbe evoziert er eine Essentialisierung einer Gegebenheit. Doch bleibt er im Wesentlichen seinem großen Thema – dem Stillleben und dem Menschen in einer archaischen Gemeinschaft – treu. Griebel offenbart uns eine transzendente Dimension hinter einer empirischer Wahrnehmung. Er offenbart uns ein Sinnbild der Schöpfung mit all ihrer Verbundenheit, Widersprüchen und Rätseln. Er entwirft einen Kosmos, der auf der Harmonie der Kräfte basiert: Formen und Farben in der Kreidezeichnung sind harmonisch angeordnet. Sie überschneiden sich und lassen neue Formen und Farben entstehen – ein Werden wie in der Natur.

 

Literatur:

  • Christine Hopfengart: Der Magier als Quotenkünstler. Paul Klee und sein Aufstieg zum Klassiker der Moderne. In: Dieter Scholz, Christina Thomson (Hg.): Das Universum Klee. Ausst.-Kat. Neue Nationalgalerie. Ostfildern 2008, S. 68-79.