Beim Spaziergang

Fritz Griebel: Beim Spaziergang, 1933, Rötel auf Papier, 48 x 64 cm.

Im Vordergrund der im Hell-Dunkel-Kontrast gehaltenen Zeichnung sehen wir ein Paar als Rückenfiguren beim Spaziergang. Beide tragen Winterbekleidung. Während der Mann gebeugt am Stock geht, geht die Frau aufrecht und etwas vor ihren Mann. Ihr rechter Arm ist angewinkelt, eine Handtasche ist um ihr Handgelenk geschlungen. Sie gehen einen unbefestigten Weg entlang, der rechts von Büschen gesäumt und links von einem einfachen Zaun eingefasst wird. Zur Linken des Paares befindet sich die Marktgemeinde Heroldsberg, in der Fritz Griebel aufgewachsen ist. Der Kirchturm ragt über die Wohnhäuser hinaus.

Das ältere Paar sind die Eltern des Künstlers. Sein Vater Georg Peter Griebel (1861–1937) war von 1899 bis 1926 Pfarrer in Heroldsberg und von der Familie seiner Mutter Luise Griebel, geb. Rihm (1865–1936), hatte Fritz Griebel höchstwahrscheinlich das künstlerische Talent geerbt, das sich in diesem Bild besonders in der Perspektive zeigt. Der Weg, den das Paar geht mündet in einen Fluchtpunkt und wird von ihm verdeckt. Er lenkt zum einen unsere Aufmerksamkeit und zum anderen suggeriert er Bewegung und Dynamik.

Die Eltern des Künstlers und der Kirchturm sind vertikale Bildelemente in der horizontal angelegten Komposition und können für die Verbundenheit mit dem christlichen Glauben des Paares gedeutet werden. Das Querformat entspricht unserem Seheindruck. Griebel vermittelt uns den Eindruck, als ob wir hinter dem Paar gehen würden und in die weite Landschaft blicken. Es verleiht dem Bild auch etwas Fernes und Zeitloses.

Die Darstellung der Rückenfigur ist bereits in der römischen Antike bezeugt und zur Zeit Giottos (1266–1337) bereits vollständig ausgeprägt. Ihre grundsätzliche und zugleich bedeutsamste Funktion ist auf einer zweidimensionalen Bildfläche einen dreidimensionalen Raum, d. h. einen Tiefenraum, darzustellen. Der Betrachter soll sich mit einer ins Bild sehende Rückenfigur identifizieren und somit auch die Existenz des Raumes nachempfinden. In der Romantik fungiert die Rückenfigur als unser Stellvertreter. Wir sollen uns in sie hineinversetzen. Immer aber ist sie auch Seelenspiegel des Künstlers. Im 20. Jahrhundert nimmt das Motiv der Rückenfigur einen geringeren Platz ein.

Caspar David Friedrich: Der Wanderer über dem Nebelmeer, 1818, Öl/Lwd., 98 x 74 cm, Hamburger Kunsthalle.

Die Rückenfigur wird erst mit Caspar David Friedrich (1774–1840) zu einem zentralen Thema in der Landschaftsmalerei. Sie nimmt entscheidenden Einfluss auf Inhalt und Bildstruktur des gesamten Bildes, auch wenn sie in unterschiedlicher Größe und Bedeutung erscheint – im Zentrum des Bildvordergrundes oder als seitlich ins Bildinnere gerückte Figur. Wesentlich für Friedrich ist die Natur als Projektionsfläche für Empfindungen und Sehnsüchte des Betrachters. In ihr äußert sich Naturanschauung und innere Weltsicht der Romantik.

Ist bei dem Romantiker die Rückenfigur passiver Betrachter einer sich von ihm entfremdeten Natur, sind die Rückenfiguren Griebels in der Bewegung festgehalten. Stellt die Rückenfigur bei Friedrich keine Individuen dar, bezeichnet Griebel ausdrücklich die Figuren als seine Eltern in der Bildnotiz unten rechts. Nicht die Naturerscheinung ist Thema des Bildes, sondern die alten Eltern, die physisch etwas gebrechlich geschildert werden: Der Vater muss am Stock gehen, die Mutter hält sich mit der Hand den Rücken. Gemeinsam gehen sie ihren Weg, den sie begonnen haben, bis zum Ende.

Antje Buchwald

 

Literatur:

  • Margarete Koch: Die Rückenfigur im Bild. Von der Antike bis Giotto. Recklinghausen 1964.
  • Akane Sugiyama: »Wanderer unter dem Regen« – Die Rückenfigur Caspar David Friedrichs. Berlin 2007.