Der freie Fall

Fritz Griebel: Der freie Fall. 1930er Jahre, Rötelzeichnung, 48 x 63 cm.

Ein nackter Mann stürzt in die Tiefe. Hinter ihm tauchen braunrote stereometrische Formen auf. Senkrechte Quader und zwei Stäbe, von denen der rechte sich in die Waagerechte verschiebt, befinden sich in einem ortlosen Raum. Der Körper des Mannes ist uns frontal zugewendet. Seine Arme sind vom Körper abgehoben. Das rechte Bein ist durchgestreckt, während sein linkes angewinkelt ist. Sein Gesicht ist von einem Tuch verhüllt. – Müsste es nicht durch den Luftzug vom Kopf geweht werden?

Ein Großteil der Rötelzeichnungen und Gemälde von Fritz Griebel aus den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts sind vom Surrealismus geprägt. Diese Bewegung in Literatur und bildender Kunst entstand in der Nachfolge von Dada um 1920 in Paris. Surreal meint wörtlich »über dem Realismus«. So bestimmen das Traumhafte, das Unbewusste, das Mysteriöse, aber auch Sexualität und Gewalt surrealistische Kunst der 1920er- und 1930er-Jahre. Der durch die menschliche Logik begrenzte Erfahrungsbereich sollte durch das Phantastische und Absurde erweitert werden.

Salvador Dalí: Die Beständigkeit des Gedächtnisses (Die weichen Uhren), 1931, Öl/Lwd., 24,1 x 33 cm, The Museum of Modern Art, New York

Fritz Griebels Zeichnung ist sehr reduziert komponiert: Der Maler beschränkte sich auf zwei Farben, rotbraun und schwarz und auf zwei Bildelemente, geometrische Körper und ein männlicher Akt. Diese auf ein Minimum reduzierten bildnerischen Elemente erzeugen eine geheimnisvolle Atmosphäre. Einem Alptraum gleich stürzt ein nackter Mann ins Unbestimmte. Das wehende Tuch um seinen Kopf kann als Physiognomie interpretiert werden, die sich aus zwei unterschiedlich großen schwarzen Kreisen als Augen und der zwischen ihnen verlaufenden geschwungen Linie als Nase und Mund zusammensetzt. Der Körper ist stark stilisiert. Das rechte Bein und der rechte Arm sowie der Stab sind parallel zueinander angeordnet. Die zwei Stäbe rahmen die Figur ein. Sie wirkt teilnahmslos und entrückt. Sie schwebt in einem Vakuum.

Aber vielleicht ist sie auch im Begriff, ins Universum zu fliegen und stützt sich mit dem linken Fuß vom Quader ab. Je länger man das Bild betrachtet, desto rätselhafter wird es. Die realen und imaginären Elemente ergeben keinen reellen Bezug. Der assoziative Charakter des Bildes bewirkt eine traumähnliche, dem Verstand nicht zugängliche Welt, in der nur die Phantasie des Künstlers Welten erschafft.