Emma Jensen

Fritz Griebel: Emma Jensen, um 1942, Lithographie, 48 x 34 cm

Fritz Griebel war ein Meister der Beobachtung. Seine Porträts erzählen vom Leben der jeweiligen Person. Dieses Talent brachte ihm auch viele Aufträge ein. Oft malte oder zeichnete er jedoch Personen, die ihm nahe standen, wie seine Kinder oder Eltern.

In diesem Werk des Monats lithografierte Griebel seine Schwiegermutter Emma Jensen, geboren am 20.1.1874 als Friederike Luise Emma Haller in Marktredewitz. Er gab sie als Bruststück vor blauem Hintergrund wieder, das leicht nach links geneigt ist. Die Haare der Frau sind zu einem Knoten hochgesteckt und verbergen das Gesicht nicht. Es zieht einen in den Bann und macht neugierig auf die Person.

Ihr Blick ist nach unten gerichtet. Schwere Schatten verdunkeln die Augenpartie. Die Nase ist lang und groß. Die vollen Lippen sind geschlossen. Deutlch ist die Nasolabialfalte zu sehen. Leichte Stirnfalten sind zu erkennen. Die Kleidung ist nicht näher definiert. Es könnte sich um eine schlichte Bluse handeln. Sie setzt sich aus dicken, harten, dunklen Strichen zusammen.

Der gesengte Blick und der fast blockhaft wirkende Körper vermitteln ein Gefühl von Zurückgezogenheit und Innerlichkeit Emma Jensens. Sie war zum Zeitpunkt der Porträtsitzung um die 68 Jahre alt. Nach dem frühen Tod ihres Mannes, zog sie ihre zwei Kinder allein groß. Griebel porträtierte sie als gütige und bescheidene Frau, die schwer arbeiten musste. Griebel zollte seiner Schwiegermutter in seiner künstlerischen Interpretation Respekt und Achtung. Emma Jensen scheint über sich und ihr Leben nachzudenken.

Adolph von Menzel: Porträtstudie einer alten Frau, 1890, Bleistift und schwarze Kreide auf Velin

Das Porträt ist zugleich Sinnbild für das Alter bzw. Altern. Es ist realistisch wiedergegeben und steht in der Tradition eines Adolph Menzel (1815–1905). Menzel schuf eine Reihe von Porträts von alten Menschen seit den späten 1880er-Jahren. So enthält das Karlsbad Skizzenbuch von 1903 (Kupferstichkabinett, Berlin) Kopfstudien von alten Menschen in Nahaufnahme und zeigt den Prozess der Alterung in all seinen Aspekten. Menzel verfügte über ein außerordentliches Zeichentalent. In der „Porträtstudie einer alten Frau“ sind viele Nuancen von Grau- und Schwarztönen zu entdecken. In dem Gesicht sind feine Liniennetze von Falten zu beobachten. Mit einer Wischtechnik erzeugte Menzel den Eindruck von einer alten, weichen Haut.

Griebel zeichnete sein Porträt mit dicken Strichen, die hastig ausgeführt erscheinen. Meist zeichnete er vertikale, kurze Linien, wie im Hintergrund und auf der Bluse. Die Linien tauchen mal lockere Bündel oder als Schraffuren auf. Geschwungene Linien zeichnete Griebel nur für die Haare und Stirnfalten.

Menzels Porträt gehört zu seinem Alterswerk. Griebel war noch ein junger Künstler, der am Anfang seiner Karriere stand. Menzel setzte sich vielleicht in seinen Studien und Porträts älterer Menschen mit seinem eigenen Altern auseinander. Beide Künstler fingen einen Augenblick äußerster Intimität ein.

 

Antje Buchwald 2016