Gruß an Italien

Fritz Griebel: Gruß an Italien, 1935, Rötel, Pastellkreide auf Papier, 62 x 48 cm.

Nach der Rückkehr aus Italien

So hab ich dich gesehen, genossen,
Du Land, wo Myrt und Lorbeer weht,
Des Schönen Heimat und des Großen,
Wo Lebenskeim aus Gräbern sprossen,
Des Träumers Traum verwirklicht steht.

Franz Grillparzer (1791-1872)

 

Italien übte besonders seit dem späten 18. Jahrhundert eine Faszination auf Künstler aus. Waren es im Mittelalter vornehmlich Rom-Pilger, die sich ihr Seelenheil in der „ewigen Stadt“ erhofften, so bereisten seit dem 17. Jahrhundert Gelehrte und Adelige (Kavalierstour) Italien. Zweck ihrer Reisen war nach deren Rückkehr ein wohldotiertes Amt zu bekleiden und als welterfahren zu gelten.

Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts änderte sich dies. Im Mittelpunkt für die Bürger, die nun Italien für sich entdeckten, stand der Kunstgenuss. Es ist die Zeit Johann Joachim Winckelmanns (1717-1768), der die antike Kunst wiederentdeckte. An die Stelle üppiger Formen und pathetischer Gesten des Barocks tritt nun die klare Linienführung. Es entsteht ein neues Kunstideal – der Klassizismus. Das Schöne gilt nunmehr als ästhetisches Ideal, neben religiösen und wissenschaftlichen Werten.

Im 19. und verstärkt im frühen 20. Jahrhundert lehnte man die an den Akademien praktizierte Nachahmung der Antike ab. Die Antike galt vielmehr als Quelle für Innovation und Invention. Wichtig wurde die abstrakte Essenz der äußeren Form. Klassische Kunst wurde als primitive Kunst betrachtet. Seit der Romantik wurde mit dem Primitivismus eine Avantgarde-Position assoziiert. Sie war verbunden mit der Idee der Reinheit und Authentizität und der Flucht vermeintlicher Dekadenz und Überkultiviertheit der Gegenwart. Der Mythos der Reinheit der primitiven Kunst wurde zum Mythos der Moderne. Alle klassischen Revivals waren seit Winckelmann eng verknüpft mit diesem Ideal – einer Rückkehr zur klassischen Vergangenheit, gedacht als eine Rückkehr zu den Ursprüngen.

Fritz Griebels Kunst ist diesem Kontext beizuordnen. Er bereiste in dem Zeitraum von 1924 bis 1969 Italien siebzehn Mal. Das hier vorgestellte Bild entstand aus der Erinnerung des Künstlers. Es ist sowohl signiert als auch datiert und mit einem Titel versehen, was sehr selten im Werk Fritz Griebels ist. So kann man schlussfolgern, dass der Künstler dieser Zeichnung eine große Bedeutung beimaß. Antike Kunst galt ihm seit den späteren 1920er Jahren ohnehin als Inspirationsquelle, die als Konstante sein Gesamtwerk durchzieht.

Schauen wir uns die Zeichnung an. Im Vordergrund eines Platzes am Meer mit Gebäuden und Bäumen steht eine männliche, fragmentierte Aktstatue in leicht seitlicher Rückenansicht auf einem Sockel. Sie wird von einer antikisierenden weiblichen Figur, die ein blaues Tuch um die Hüften geschlungen hält, betrachtet. Eine nackte männliche Figur geht hinter ihr vorbei. Links neben der weiblichen Figur befindet sich ein Obelisk. In der Himmelszone fliegt ein Erot, in seinen Händen jeweils einen Kranz haltend, in einer Wolkenformation.

Auf wenige Farben beschränkt, wie Rotbraun, Grün und Blau, ist die horizontale Anordnung der Komposition auffällig. Die große Statue steht in einem harmonischen Verhältnis zum Obelisken, der sich in einer Fluchtlinie zum viereckigen Turm befindet. Die zwei Figuren, die Baumgruppe sowie der horizontal fliegende Erot lockern die statische Anordnung auf. Die Harmonie der Komposition beruht zudem auf der Verwendung des „Goldenen Schnitts“. So positionierte Griebel die Statue auf der Bildfläche im Verhältnis von zwei ungleichen Teilen, so dass die gesamte Strecke sich zum größeren Teil verhält wie dieser zum kleineren. Darüber hinaus ordnete Griebel die Statue bilddiagonal an: Die fragmentierten Arme teilen das Bild in zwei Seiten.

Auf beeindruckende Weise hielt Fritz Griebel die sommerliche Stimmung fest. Der azurfarbene Himmel, die gezielte Modellierung durch Schattenwürfe auf den architektonischen Elementen sowie auf der Kolossalstatue erzeugen eine flirrende Hitze. Einem Traum gleich inszeniert Griebel hier eine antike Alltagsszene. Es ist seine persönliche Huldigung an die Antike, die der Erot zu bekränzen im Begriff ist. – Ein ferner Gruß an Italien.