„Wie ein Liegender so steht er;
ganz hingehalten von dem großen Willen.
Weitentrückt wie Mütter, wenn sie stillen,
und in sich gebunden wie ein Kranz.
Und die Pfeile kommen: jetzt und jetzt
und als sprängen sie aus seinen Lenden,
eisern bebend mit den freien Enden.
Doch er lächelt dunkel, unverletzt.“
Rainer Maria Rilke
Der Legende nach war Sebastian Hauptmann der Prätorianergarde am kaiserlichen Hof Diokletians. Er verheimlichte seinen christlichen Glauben, seine Stellung erlaubte es ihm jedoch, seinen christlichen Glaubensgenossen in den Gefängnissen Roms beizustehen. Auch konnte er einige römische Adelige bekehren und sorgte für die Bestattung der Märtyter.
Als Diokletian von Sebastians Glauben erfuhr, ließ er ihn an einen Baum binden und von numidischen Bogenschützen erschießen. Der für tot gehaltene wurde am Hinrichtungsort liegen ließen. Dort entdeckte ihn Irene, die Witwe des Märtyrers Castulus und pflegte ihn gesund. Sebastian trat nach seiner Genesung vor den erstaunten Kaiser, um ihn die grausame Sinnlosigkeit seiner Christenverfolgungen vorzuhalten. Daraufhin ließ ihn Diokletian im Hippodrom des Palastes „Domus Augustana“ auf dem Palatin in Rom zu Tode peitschen. Sebastians Leiche ließ er in die „cloaca maxima“, den größten Abwasserkanal, werfen. Im Traum erschien er Lucina und wies ihr den Ort, wo sein Leichnam lag, so dass sie ihn im Coemeterium, den Katakomben des Sebastians, bestatten konnte.
Der Heilige Sebastian gilt als Schutzpatron gegen die Pest, seit 680 in Rom diese durch seine Reliquien abgewendet werden konnte; „Sebastianspfeile“ trug man gegen die Pest, der „anfliegenden Krankheit“. Ferner ist er u.a. Schutzheiliger der Sterbenden, Soldaten, Kriegsinvaliden, der Münchener Polizei oder der Bürstenbinder und Steinmetze.
Seit dem 5. Jahrhundert gibt es Darstellungen des Martyriums in der bildenden Kunst. Besonders das erste Martyrium wurde ein beliebtes Motiv. So wird im Mittelalter Sebastian als älterer, ernster, Pfeile tragender Mann im Soldatengewand dargestellt. In der Kunst der Renaissance entwickelte sich unter dem Einfluss spätmittelalterlicher Schmerzensmann- und Ecce-homo-Darstellungen aus dem anfänglich bekleideten Man ein Jüngling als der häufigste Typus: ein halb- oder bis auf den Lendenschurz entblößter junger Mann ist an einem Pfahl, Baum oder Säule gebunden, Pfeile durchbohren Brust und Arme. Hiermit wird auf die Wunde Christus verwiesen, der Marterbaum steht für den Baum des Lebens. Laszive Haltung und Betonung der Körpermerkmale lassen den Heiligen Sebastian seit dem 19. und 20. Jahrhundert zum inoffiziellen Schutzpatron der Homosexuellen und Aidskranken avancieren.
Fritz Griebels surreale Interpretation des Martyriums zeigt im Zentrum einen nackten schönen Jüngling frontal vor einem Baumstamm stehend; die Hände sind nicht wie üblich an den Baum gebunden, frei bewegen sie sich am Körper und wehren die auf ihn gerichteten Pfeile nicht ab. Der Aktdarstellung des Heiligen ist ein sitzender und stehender männlicher Akt beigeordnet. Ersterer hat die Arme auf den Oberschenkeln gelegt, wobei der linke Arm abgewinkelt ist und die Pose eines Denkers einnimmt. Der stehende Akt verschränkt seine Hände hinter dem Kopf, er wirkt verzweifelt. Beide Assistenzfiguren sind in rechteckige Segmente platziert, sie sind isoliert von dem Geschehen.
Die wie bei Griebel übliche ausgewogene Bildkomposition wird bestimmt durch eine vertikale Anordnung, die durch die horizontalen Pfeile aufgelockert wird. Kontrastiv setzte Griebel die menschliche Figur in Zusammenklang mit geometrischen Strukturen, die ihrerseits als Kreise und Rechtecke einen Gegensatz bilden.
Interpretiert man die Assistenzfiguren als Darstellungen des Heiligen Sebastians selbst, so führt uns Fritz Griebel hier eine simultane Erzählung vor, wie sie seit dem Mittelalter gebräuchlich ist. Der Hauptmann Sebastian, dem die unbedingte Bereitschaft zum Sterben für seinen Glauben charakterisiert, wäre dann in seinen Qualen dargestellt, bevor er sich entschloss, nach seiner Genesung durch die Beschießung mit Pfeilen dennoch zu Diokletian zu gehen mit Wissen, nun endgültig sterben zu müssen.
Geht man davon aus, dass die Gesichtszüge des Heiligen Sebastians entfernte Ähnlichkeit mit denen Fritz Griebels haben, so schuf der Künstler mit dieser Zeichnung hier sein persönliches Glaubensbekenntnis, das zwar von Zweifel bestimmt, doch letztlich auf festem Fundament ruhte.
Antje Buchwald