Das Liebespaar ist von jeher Gegenstand der Kunst. Mal ist es distanziert und entfremdet, mal ist es sehnsuchtsvoll verbunden, oder erotisch im Liebesakt verschmolzen. Sowohl die Schöpfungsgeschichte der Bibel als auch die Überlieferung von der Entstehung des Menschen im altgriechischen Mythos berichten davon, dass der Mensch zu Anfang ein eingeschlechtliches Wesen gewesen sei.
Die Menschheit war demnach von Anfang an männlich und weiblich. Adam war zunächst androgyn und wurde erst später in eine männliche und weibliche Hälfte geteilt. Die Vorstellung vom zweigeschlechtlichen Urmenschen im Mythos gilt als Erklärungsversuch für das ewige Zueinanderstreben von Mann und Frau, welche die Trennung durch körperliche Verschmelzung zu überwinden suchen.
Diente den Künstlern früher der antike Mythos und Geschichten aus der Bibel als Thema für ihre künstlerischen Äußerungen, hat sich heute der Blick auf das Paar erweitert und verändert. Autobiographische Erfahrungen und tradierte Geschlechterrollen werden von Künstlern und Künstlerinnen ebenso thematisiert, wie Alltagsbeobachtungen oder die Präsenz von Medienbildern.
Fritz Griebel zeigt uns ein nacktes Paar in verschiedenen Körperhaltungen in einem Raum. Die schwarzen Striche, welche Konturen und Schattenpartien wiedergeben, sind hart. Fast wirken sie wie gekritzelt.
Die Frau liegt horizontal am Boden und füllt den Raum fast aus. Der Künstler präsentiert uns ihren Körper. Hände und Unterschenkel sind nur angedeutet. Die Beine enden in Strichen, die dicht nebeneinander verlaufen. Der Mann sitzt hinter der Frau. Er hat seine Beine an den Oberkörper gezogen; seine Arme sind auf den Knien abgestützt. Griebel zeigt uns seinen Körper nicht näher. Er ist zudem stark verschattet, Striche bedecken seinen Körper.
Rechts neben dem Mann erstreckt sich eine große Schattenfläche. Links von ihm deuten wenige vertikale und horizontale Striche einen Tisch an.
Griebel zeigt uns ein Paar nach dem Liebesakt. Doch scheint es nicht erfüllt zu sein, sondern resigniert. Das Paar ist nicht länger vereint. Jeder ist (wieder) für sich. Keiner umarmt den anderen. Der Mann scheint sich sogar gegen die Frau abzuschotten. Beide blicken ins Leere. Der Mann scheint zudem seine Augen zum Boden zu senken. Schämt sich das Paar, sich seiner Lust hingegeben zu haben? Der Schatten rechts neben des Mannes könnte diese Vermutung unterstützen.
Der Schatten spielt in Literatur, Kunst, Film, Philosophie, Religion und Mythologie eine bedeutende Rolle. Für den Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung (1875–1961) ist der Schatten einer der wichtigsten Archetypen. Er verkörpert im Gegensatz zum Archetyp Persona die negative und sozial unerwünschte Seite der Persönlichkeit, die auf Grund gesellschaftsfeindlicher Tendenzen ins Unbewusste verbannt wird.
Der Schatten wächst sozusagen als Negativ parallel zur Persona. Anforderungen, Erwartungen, Ge- und Verbote der Gesellschaft lassen nur einen Teil der sich entwickelnden Persönlichkeit zur Entfaltung kommen.
Der Schatten in Griebels Bild könnte auf unterdrückte sexuelle Begierden hinweisen, die plötzlich ekstatisch an die Oberfläche drängten. Fast scheint es, als habe der Künstler diese Leidenschaft mit seinen vielen harten und kurzen Strichen veranschaulicht. Liebe und Schmerz liegen oft dicht beieinander.
Antje Buchwald 2014
Literatur:
- Carl Gustav Jung: Archetypen. München 1990.
- Anthony Stevens: Jung. Freiburg 1999.
- Daniel Uchtmann: Liebespaare in der Kunst, hg. von Sabine Haag. Wien 2011.