Leda mit dem Schwan

Fritz Griebel: Leda mit dem Schwan. 1934, kolorierte Tuschzeichnung, 40 x 60 cm.

Leda
»Als ihn der Gott in seiner Not betrat,
erschrak er fast, den Schwan so schön zu finden;
er ließ sich ganz verwirrt in ihm verschwinden.
Schon aber trug ihn sein Betrug zur Tat,

bevor er noch des unerprobten Seins
Gefühle prüfte. Und die Aufgetane
erkannte schon den Kommenden im Schwane
und wußte schon er bat um Eins,

das sie, verwirrt in ihrem Widerstand,
nicht mehr verbergen konnte. Er kam nieder
und halsend durch die immer schwächre Hand

ließ sich der Gott in die Geliebte los.
Dann erst empfand er glücklich sein Gefieder
und wurde wirklich Schwan in ihrem Schoß.«

Rainer Maria Rilke, Neue Gedichte, Anderer Teil (1908)

Leda mit dem Schwan ist eine Geschichte in der griechischen Mythologie. Leda war die Frau des spartanischen Königs Tyndareos. Der Name Leda bzw. Lada ist das kretische Wort für »Frau«; die Sprachwurzel findet sich noch heute im englischen Wort »Lady« wieder. Eng verbunden ist Leda mit Lat (milchgebende Göttin), Letho (Göttin des Vergessens) und Nemesis (Rachegöttin) und wird häufig mit ihnen gleichgesetzt.

Michelangelo: Leda und der Schwan, nach 1530 (Kopie), Öl/Lwd., National Gallery.

Der Göttervater Zeus, verheiratet mit seiner Schwester Hera, war bekanntlich ein Schwerenöter und hatte viele Affären, aus denen auch Kinder hervorgingen. Wie auf andere schöne Frauen hatte er auch ein Auge auf Leda geworfen. Diese widersetzte sich jedoch seinen Avancen. Zeus, der sich schon oft, um an das Ziel seiner Begierden zu gelangen, in einen Kuckuck, Stier oder goldenen Regen verwandelt hatte, verwandelte sich nun in einen Schwan und verführte bzw. vergewaltigte sie. Leda wurde daraufhin schwanger.

Doch auch ihr Mann schwängerte sie in derselben Nacht. Leda gebar zwei Eier mit vier Kindern: das Zwillingspaar Helena (unsterblich) und Ploydeukes (sterblich) sowie Kastor (unsterblich) und Klytaimnestra (sterblich). Häufig wird Zeus als Vater für das erste Zwillingspaar angesehen.

Correggio: Leda und der Schwan, um 1532, 152 x 192 cm, Öl/Lwd., Gemäldegalerie Berlin.

In einer anderen Version des Mythos hat sich Zeus als Schwan in den Schoß der Göttin Nemesis geflüchtet, worauf sie ein goldenes Ei legt. Die sterbliche Leda soll das Ei gefunden und ausgebrütet haben. Leda wäre demnach nur die Pflegemutter der Schönen Helena gewesen.

Eine weitere Version besagt, dass Leda zur Göttin wurde, nachdem sie das Weltenei gelegt hatte, aus dem Kastor und Pollux, der Morgen- und Abendstern sowie Apollo (die Sonne) geschlüpft sind.

Cézanne: Leda und der Schwan, zwischen 1820 und 1822, Öl/Lwd., 59,8 x 75 cm, Barnes Foundation.

Das Sujet der Verführung/Vergewaltigung Ledas wurde gern und oft von Künstlern aufgegriffen. Immer wieder ließen sie sich vom Mythos inspirieren, erlaubte er es ihnen doch den weiblichen Körper zur Schau zu stellen ohne den männlichen Gegenpart. Sehr delikat ist zudem der Geschlechtsakt zwischen einer Frau und einem Tier.

Die Grazie des Schwanes hat den Menschen seit je fasziniert. Der weiße Schwan gilt als Symbol des Lichtes und der Reinheit, der Reifung und Vollendung. Er steht für Liebe und Treue. Weiße Schwäne sollen den Wagen Apolls gezogen haben. Nach griechischem Glauben besaß der Entenvogel die Fähigkeit wahrzusagen. Der Ausdruck »Es schwant mir« findet sich noch heute im deutschen Sprachgebrauch, wenn sich unsere Intuition meldet. Auch in Märchen (»Das hässliche Entlein«, »Die sechs Schwäne«) und Oper (»Lohengrin«) findet der Schwan seine Verbreitung.

In der künstlerischen Umsetzung des Mythos von Leda und dem Schwan schmiegt sich der Vogel oft eng an den Körper Ledas an. Der lange Hals des Tieres lässt an einen Penis denken, der den Körper umschlingt.

Fritz Griebels Tuschzeichnung zeigt den Schwan hingegen im Laufschritt. Er flattert mit den Flügeln. Er ist erregt. Leda ist als Akt gezeichnet. In Aufsicht präsentiert uns der Maler ihren Körper wie auf einem Seziertisch. Ihr Kopf ist leicht erhoben. Ihre Augen sind geschlossen, als ob sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden hätte. Oder wird sie im Schlaf von Zeus überrascht?

Henri Matisse: Madelaine, Etude, zwischen 1946–1951, Lithographie, 20 x 21,5 cm.

Wenige Striche genügten Fritz Griebel, um dem Papier Leben einzuhauchen. Besonders der Gesichtsausdruck Ledas und des Schwans sind ihm gut gelungen. Das Tier blickt die Frau herausfordernd, ja siegessicher an. Griebel verlieh Leda ein zartes Gesicht. Das Zusammenziehen von Augenbraue und Nase, so dass sie eine gebogene Linie ergeben, findet sich auch meisterlich bei Henri Matisse (1869–1954) umgesetzt.

Deutlich sind beim Schwan einige Bleistiftstriche zu erkennen, die dem Maler als Orientierung dienten. Der Einsatz von grauer Wasserfarbe am Gefieder und am Akt sorgen für Plastizität sowie für Verbundenheit beider Körper.

Die Akzentuierung von Ledas Geschlechtsorgan, des Schwimmfußes und Kopfes des Schwanes mit giftgrüner Wasserfarbe mag auf den ersten Blick banal erscheinen. Die Farbe verleiht der Zeichnung jedoch eine bedrohliche Atmosphäre, die andere Bilder zum Thema oft vermissen lassen. Dort wird eine Verführung geschildert. Fritz Griebels Zeichnung ist dagegen ambivalent. Der Schwimmfuß des Schwanes kann mit Gewalt die Beine Ledas auseinander pressen – er muss es aber nicht.

Die Zeichnung entstand zu einer Zeit, in der sich Griebel intensiv mit antiker Kunst und Kultur auseinander setzte. Sie diente ihm als Folie für neue Bildschöpfungen.

Antje Buchwald 2014

Literatur:

  • Abenstein, Reiner: Griechische Mythologie. KulturKompkat. 3. Aufl. Paderborn 2012.
    Cassel, Paulus: Der Schwan in Sage und Leben. Eine Abhandlung. 2. Auflage. Eduard Beck, Berlin 1863.
  • Ranke-Graves, Robert von: Griechische Mythologie. Quellen und Deutung. Reinbek bei Hamburg 2008.