Mit breitem Pinsel setzte Fritz Griebel Farbflächen neben- und übereinander. Blau-, Gelb- und Rotabstufungen formen ein Porträt seiner Tochter Annette (1940-1994). Geschickt bezieht der Künstler die weiße Fläche des Papiers in seine Komposition mit ein. Diese reduzierten Mittel genügen ihm jedoch, um ein äußerst sensibles Bildnis zu schaffen.
Das Mädchen sitzt als Halbfigur im Profil vor einem Fenster an einem Tisch. Die Arme hat es auf diesen aufgelegt, der Kopf mit dem blondem Pferdeschwanz ist leicht nach unten geneigt, wie auch die Augen nach unten blicken. Höchste Konzentration, Ernsthaftigkeit – ja sogar eine gewisse Melancholie sind in Körperhaltung und Gesicht vereinigt. Vielleicht denkt das Mädchen nach, vielleicht liest es. Explizit zeigt uns Fritz Griebel nicht, womit sich seine damals 15-jährige Tochter beschäftigte, ging es ihm wohl eher darum, einen Augenblick, eine Atmosphäre zu bannen.
Trotzdem sind Parallelen zum Gemälde von Caroline Von der Embde (1812-1904) auffällig. Auch hier sitzt ein Mädchen vor einem Fenster an einem Tisch und liest. Lesen galt bis ins 19. Jahrhundert hinein als Privileg bestimmter Schichten und des männlichen Geschlechts. Das Mädchen scheint fast das Buch mit den Armen zu verbergen. Im Gegensatz zu Griebels Aquarell zeigt das Fenster einen Blick auf eine Berglandschaft. Griebel zeigt uns stattdessen eine weiße monochrome Fläche und lässt seine Tochter ohne Attribute. Er wollte kein Genrebild malen, sondern das Wesen, das Innerste seiner Tochter mit ein paar Farben entäußern.
In dem Porträt drückt sich die tiefe Verbundenheit eines Vaters gegenüber seiner Tochter aus. Im Gegensatz zu seinem Sohn Peter, der technisch begabt ist, war die Tochter Annette künstlerisch sehr begabt. Sie trat in die Fußstapfen ihres Vaters und studierte bildende Kunst in Nürnberg, München und Athen. Der märchenhafte Gobelin entstand nach einem Aquarell der damals 14-Jährigen. Vielleicht malte Griebel seine Tochter auch beim Zeichnen oder Aquarellieren und das Fenster wäre eine Staffelei, aber das ist – wie erläutert – nicht wesentlich.