Stillleben mit Hand

Fritz Griebel: Stillleben mit Hand. 1930er-Jahre, Bleistift/Papier, 45 x 54 cm.

Man könnte […] im Abdruck eine für dieses Jahrhundert typische Form der Kritik an der klassischen Repräsentation sehen – die jedoch einen grundlegend anderen Weg einschlägt als die Abstraktion, denn statt sich radikal vom dargestellten Gegenstand, vom ‚Realen’ abzuwenden, wendet der Abdruck sich ihm radikal zu, so radikal, dass er in der Berührung jede optische ‚angemessene Distanz’ jede Konvention oder Evidenz der Sichtbarkeit, der Erkennbarkeit, der Lesbarkeit subvertiert. (Georges Didi-Huberman 1999)

Fritz Griebel faszinierte sich für die alte Kunstgattung des Stilllebens. In dieser auf den ersten Blick unscheinbaren Zeichnung hat er sein späteres ikonographisches Programm bereits thematisiert. Er hatte eine Vorliebe für Birnen, Pflaumen, Eier und Nüsse. Sie tauchen auf fast allen seiner Früchtestillleben auf.

Im Zentrum der Zeichnung befinden sich drei Birnen, von denen die obere vom Bildrand abgeschnitten wird. Neben der großen Birne sehen wir ein angedeutetes Nest mit zwei kleinen Eiern, daneben eine halbierte Pflaume. Im unteren Bildbereich sind drei große Eier und eine Walnuss zu erkennen.

Mit feinen Bleistiftlinien konturierte der Künstler die Dinge. Im Schatten liegende Flächen deutete er mit Schraffuren an. Im Gegensatz zum klassischen Stilleben befinden sich die Dinge nicht auf einen Tisch mit Tischtuch, sondern scheinen ortlos auf der Bildfläche zu schweben. Sind die Dinge fast ohne Kontrast gezeichnet, so hebt sich der schwarze Abdruck einer Handfläche in dem Bild deutlich ab. Sie verleiht dem Bild eine rätselhafte Aura.

Der Abdruck ist vermutlich das älteste autopoietische bildnerische Verfahren. Mühelos entsteht er wie von selbst, durch einfachen Kontakt eines Objekts mit einem Untergrund. Ein Zustand geht ohne Umwege in einen anderen über, ohne weiteres Zutun gebiert amorphe Materie geformten Stoff. Wer erinnert sich nicht daran, als Kind am Strand seine Fußabdrücke zu bewundern, die von der nächsten Welle wieder weggespült wurden. Handabdrücke im Speziellen sind „Kontaktbilder“, die aus der Berührung der Bildoberfläche mit der bloßen Hand entstehen. Sie repräsentieren Absenz und Präsenz gleichermaßen.

Handnegativ in der Höhle von Pech Merle (16.000–20.000 Jahre alt), heute Frankreich. Lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons.

Für den Kunsthistoriker und Philosophen Georges Didi-Hubermann (geb. 1953) ist der Abdruck in Anlehnung an den Ethnologen und Prähistoriker André Leroi-Gourhan (1911–1986) die „Morgendämmerung der Bilder“. An den Wänden südfranzösischer oder spanischer Höhlen fand man neben realistischen Darstellungen von Tieren und stilisierten Menschen auch positive und vor allem negative Abdrücke von Händen. Streng genommen handelt es sich bei diesen Handnegativen jedoch um die mit dem Abdruck verwandte Technik der Schablone.

Über die Bedeutung dieser Handabdrücke ist sich die Wissenschaft nicht einig, es werden unterschiedliche Hypothesen zum Symbolgehalt vertreten. Eine Deutung wäre, dass diese Handzeichen ein verkörpertes Urheberzeichen seien, d.h. eine Art Signatur.

Bei genauerer Betrachtung der Hand in der Zeichnung fällt auf, dass sie einem Abdruck nachempfunden ist. Technisch gesehen handelt es sich um eine Schablone. Nehmen wir an, die Hand stammt von Fritz Griebel selbst, so legte er seine linke Hand flach auf das Zeichenpapier und umfuhr mit einem Stift die Konturen. Dann füllte er die Kontur mit Schwarz aus, wobei er die Papillarlinien am Handballen aussparte. Die Menschen des Jungpaläolithikums legten ihre Hände auf eine Felswand und sprühten mit einem Röhrchen Farbe auf die Wand.

Bei beiden Techniken ist das Resultat ein Bild, das durch Kontakt eines Umrisses entstand. Das Bild ist buchstäblich eine Spur, eine Transposition, der Überrest einer nun verschwundenen Hand, aber einst dagewesenen Hand.

Die Hand des Künstlers fügt sich nicht harmonisch in den Bildzusammenhang ein. Sie dominiert das Bild. Sie ist eine Signatur des Künstlers Fritz Griebel. Wie auf einer Felswand verteilt wirken die Dinge. Griebel begreift sich als Creator mundi, als Schöpfer seiner ganz eigenen Kunstsprache, in der archetypische Zeichen von der Urkraft der Bilder künden.

Antje Buchwald 2014

 

Literatur:

  • Bataille, Georges: Die vorgeschichtliche Malerei. Lascaux oder die Geburt der Kunst. Genf 1955, S. 139.
  • Didi-Hubermann: Georges, Ähnlichkeit und Berührung. Archäologie, Anachronismus und Modernität des Abdrucks. Köln 1999; Zitate im Text: S. 22.
  • Dubois, Philippe: Der fotografische Akt. geschichte und Theorie der Fotografie, Bd.1. Amsterdam, Dresden 1998, S. 114 ff.
  • Ullrich, Jessica: „Geburt aus dem Geiste der Grabkammern“. Wachsabdruck und Wachsabguss als autopoietische Verfahren, in: Friedrich Weltzien (Hg.): Von selbst. Autopoietische Verfahren in der Ästhetik des 19. Jahrhunderts. Berlin 2006, S. 124–140.
  • Uppenkamp, Bettina: Der Fingerabdruck als Indiz. Macht, Ohnmacht und künstlerische Markierung, in: Kontaktbilder. Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik, B. 8.1 (2010), S. 7–17.