Diese Radierung ist Zeugnis von Griebels Studienzeit an der Hochschule der Bildenden Künste in Berlin. Nach seinem Studium der angewandten Grafik und Buchkunst an der Kunstgewerbeschule – heute Akademie der Bildenden Künste Nürnberg – studierte er ab 1922 in der Großstadt zunächst Aktmalerei, wurde dann aber in die Malklasse des Malers und Radierers Hans Meid (1883–1957) aufgenommen und später sein Meisterschüler. Meid war einer der bedeutendsten Grafiker des 20. Jahrhunderts.
Auch in der Großstadt suchte Griebel mehr die Natur. Er hielt nicht das pulsierende Leben im Berlin der 20er-Jahre fest. So zeigt dieses Bild fast über der gesamten Bildfläche eine Hausfront, vor der ein fast kahler Baum steht.
Es ist der Kontrast zwischen glatter Fassade und geraden Fensterlinien, zwischen schwunghaft-wuchernden Ästen, die der Kunststudent herausarbeitete. Schattenpartien beziehungsweise Dunkelwerte deutete er mit vielen kleinen Strichen wie beim Baumstamm oder dem kleinen Vorbau des Hauses an.
Es ist eine Studie, die Griebels virtuosen Umgang mit der Linie demonstriert, den er bereits im Scherenschnitt bewies.
Antje Buchwald
Juni 2020