Die Kunstwelt von Fritz Griebel vereint religiöse und sinnliche Aspekte. In diesem Aktbildnis zeigt er uns zwei Frauen im Dreiviertelporträt. Sie sind einander zugewandt und haben Blickkontakt. Beide Frauen sind frontal gezeichnet. Ihre Körper sind anatomisch annähernd identisch aufgebaut. Die rechte Figur ist der linken etwas vorgelagert, so dass sie mit ihrem Oberkörper einen Teil der anderen Figur verdeckt. Im Gegensatz zu ihr hat die rechte Figur ein Tuch um die Oberschenkel drapiert, das sie mit der rechten Hand festzuhalten scheint.
Diente das Tuch meist zur Verhüllung des Körpers bzw. bestimmter Körperteile, wie das um die Hüften geschlungene Gewand der „Venus von Milo“, so zeigt der weibliche Akt Griebels seine Scham als stilisiertes schwarzes Dreieck. Das in Falten belebte Tuch des Akts soll hier nichts verhüllen. Es ist sogar durchscheinend, denn es gibt den Blick frei auf die drallen Oberschenkel, welche der Künstler mit einer feinen Linie wiedergab. Vielmehr ist das Tuch ein kompositorisches Mittel. Es bildet einen Kontrast zu der weichen Oberfläche der Körper. Das Tuch mit seinen harten schwarzen Schatten scheint nicht wie bei der antiken Skulptur weich zu fallen, es wirkt eher spröde.
Interessant ist die Partie, wo sich die Körper beider Frauen überlagern bzw. buchstäblich durchscheinen: auf dem Arm der rechten Figur taucht eine Brust der linken Figur auf. Diese Simultanität des Seheindrucks ist ein Stilmittel des Kubismus, welcher u.a. Gegenstandsformen zergliederte.
Fritz Griebel setzte sich in diesem Bild jedoch nicht mit Braque (1882-1963) oder Picasso (1881-1973), den Begründern des Kubismus auseinander, sondern mit Ferdinand Léger (1888-1955). Léger, bekannt für seine Röhrenmenschen, die sich zwischen große leuchtende Farbflächen schieben, nahm die berühmte Formulierung Cézannes (1839-1906) wörtlich und verwandelte alles in Kegel, Kugel und Zylinder. Waren seine frühen Arbeiten bestimmt durch die allgemeine Technikbegeisterung, so zeigen seine späteren Werke einfache Menschen im Zirkus, auf der Landpartie oder unter Blumen und Bäumen.
In dem Bild „Nude on a red backround“ (siehe hier im “Musée de l’Orangerie“) von 1927 sehen wir einen sitzenden weiblichen Akt. Während der Körper seitlich angeordnet ist, ist der Kopf frontal zum Betrachter gedreht. Fritz Griebel ließ sich im Besonderen von der Reduzierung der Anatomie in stereometrische Formen inspirieren. Die Wiedergabe der Brüste als stilisierte Kugeln sowie die volumenreichen Körper findet sich auch in Griebels Zeichnung.
Zu beachten ist in diesem Kontext die rechte Hand unterhalb der Brust des linken Aktes. Dieses Motiv taucht im Werk des Franzosen auf, dort scheint der Akt jedoch die Brust mit der Hand zu umfangen. Bemerkenswert ist zudem der Schlagschatten des Unterarmes und der des Aktes insgesamt in Griebels Bild, der auf die Körperoberfläche und auf die Wand geworfen wird. Er verleiht dem Bild eine fast geheimnisvolle Atmosphäre.
Betrachten wir uns die linke Hand des rechten Aktes, so fällt auf, dass die Finger gespreizt sind. Sie erwecken den Eindruck, als ob sie die Hand oder die Brust der anderen Figur ergreifen wollen. Unterstützt wird diese Vermutung durch den Blickkontakt des rechten Aktes zum linken. Griebel zeigt uns hier also eine sehr erotische Szene.
Lassen Sie uns zum Abschluss noch die Faktur der Zeichnung betrachten. Wie ist es möglich, dass wir als Betrachter den Eindruck haben, die Frauenkörper seien weich? Fritz Griebel setzte den Zeichenstift meisterlich ein. Die Konturen der Körper sind nicht aus harten, dünnen Linien gezogen, sondern sie sind auf das Papier gehaucht. Die Eigenschaft des Rötels in Kombination mit schwarzer Pastellkreide – leicht verreibbar ohne sich ungewollt zu verwischen –, setzte Griebel perfekt ein. Allein aus Schattierungen von Körperpartien erzeugt der Künstler die Akte. Nur ein harter, dünner Strich fungiert gekonnt als Kennzeichnung des Oberarmes. Im Kontrast zu den Akten sind die differenzierten Linien und dunklen Flächen des Hintergrundes und des Tuches. Die Hand des Künstlers übte hier mehr Druck auf den Zeichenstift auf. Die vertikalen Flächen des Hintergrundes lassen die Akte stärker hervortreten und kontrastieren ihrerseits mit den horizontalen Falten des Tuches. Harte und weiche Striche bestimmen die Komposition.
Setzte sich Griebel mit Werken von Vertretern der Klassischen Moderne auseinander, so ist seine Zeichnung alles andere als eklektizistisch, schuf er doch eine eigene Kreation. Erkennbar sind zudem seine Kenntnisse in der antiken Kunstgeschichte, welche internationale Künstler in den 1930er-Jahren verstärkt als Quelle diente. Vielleicht könnte man die Darstellung als ,archaischen Lyrismus‘ umschreiben, einer gefühlsbetonten, zeitentrückten Darstellung.