Die Jahreszeiten

»Alles geht, Alles kommt zurück, ewig rollt das Rad des Seins.
Alles stirbt, Alles blüht wieder auf, ewig läuft das Jahr des Seins.«

Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, Dritter Teil. 1883-1885

Fritz Griebel: Die Jahreszeiten, 1940er-Jahre, Öl/Lwd., 100 x 80 cm.

Die Jahreszeiten sind ein universales Phänomen, das gleichermaßen die Bereiche Medizin, Naturphilosophie, Dichtung und bildende Künste durchzieht. Das Jahr ging als wichtiger naturbedingter und das Leben der Menschen vielfältig beeinflussender größerer Zeitabschnitt in die Vorstellungswelt und Symbolik ein. Der Wechseln der Vier Jahreszeiten und deren regelmäßige Wiederkehr wurden zum Symbol der Zeit, der Vergänglichkeit und des Kreislaufes von Werden und Vergehen, von Leben und Tod.

Darstellung der Vier Elemente und ihrer Eigenschaften (Quelle: Takahe)

Bereits in der Vorstellungs- und Götterwelt früher Hochkulturen der Flussniederungen am Nil oder Euphrat spielten die Vier Jahreszeiten im Kontext mit dem Lebens- und Produktionsrhythmus sowie in mythologisch-kosmogonischen Motiven eingebetteten Naturbeobachtungen eine beachtliche Rolle.

Die Herausbildung der Vier Jahreszeiten begann in der Antike. Die Ziffer Vier galt den Pythagoreern (6.–5. Jh. v. Chr.) als eine heilige Zahl, die den Kosmos als außerphysikalisches numerisches Strukturprinzip durchwalten sollte. Das abstrakte Denkbild der Tetrade (lat. „Vierheit“) beschrieb das Universum jenseits seiner räumlichen und zeitlichen Ausdehnung, indem die kosmischen Größen und ihre irdischen Verwandten nur durch die Vierzahl oder ihrer Vielfachen koordiniert wurden.

Bodenmosaik der Vier Jahreszeiten, 4. Jh. (Foto: Error, 2005).

Platon (428/27–349/48) griff die Ideen der Pythagoreer in seiner Philosophie auf. Für ihn war die Tetrade ein der sinnlichen Wahrnehmung unzugänglicher Bauplan des Universums, der durch eine verstandesmäßige Vorstellung begreiflich gemacht werden sollte.

Nach dem Viererschema mit der Lehre von den Vier Elementarqualitäten, begründet durch Philolaus (450 v. Chr.), waren alle kosmischen Größen durch Paarbindungen der Zustände feucht (humius), warm, (calidus), trocken (siccus) oder kalt (frigidus) definiert.

Brüder von Limburg (ca. 1385–1387): Très Riches Heures du Duc de Berry, Monat Oktober, zw. 1412/1416, Gemälde auf Vellum, 22,5 x 13,6 cm, Musées Condé.

Der nächste Entwicklungsschritt vollzog sich im medizinischen Bereich mit der auf Hippokrates (460–370 v. Chr.) und seine Schule zurückgehenden Humoralpathologie. Sie beschrieb die Vier Säfte (humores), die der menschliche Körper in sich einschloss, nach den oben genannten Grundbeschaffenheiten mit ein: Das Blut (sanguis) war feucht und warm, die gelbe Galle (cholos) warm und trocken, die schwarze Galle (melos cholos) trocken und kalt und der Schleim (phlegma) kalt und feucht.

Hippokrates führte in Analogie zu den Vier Körpersäften auch die vierte Jahreszeit ein, denn bis ins 5. Jh. v. Ch. unterschied man nur zwischen Frühling, Sommer und Winter. Auch sah er Verbindungen zu den Stufen der Lebensalter: Der Frühling (ver) entsprach die Kindheit (pueritia), der Sommer (aestas) der Jugend (iuventus), der Herbst (autumnus) entsprach dem reifen Mannesalter (virilitas) und der Winter (hiems) dem Greisenalter (senectus). Galen (ca. 130–200 n. Chr.) verband die Vier-Säftelehre auch mit den Vier Elementen. Nach der Vier-Elemente-Lehre besteht alles Sein aus den vier Grundelementen Feuer, Wasser, Luft und Erde.

Seit der Antike wurden die vier Jahreszeiten als Personifikationen wiedergegeben. Als Erkennungszeichen wurden ihnen Attribute agrarischer Produkte der jeweiligen Saison beigegeben: Blumen schmücken den Frühling, Ähren den Sommer, Trauben erhielt der Herbst und der Winter wurde wahlweise mit Wild, Reisern oder warmer Kleidung ausgestattet.

Pieter Bruegel d. Ä.: Heimkehr der Herde (Monate Oktober, November), 1656, Öl/Holz, 117 x 159 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien.

Seit der Spätantike konnten diese Einzelfiguren bei der Ausführung spezifischer Tätigkeiten dargestellt werden, die meist dem Bereich des Feldbaus entstammten. Hier kündigten sich die im Mittelalter kanonisierten Monatsbilder an (siehe Abb. “Brüder von Limburg”), die zusammen mit den Symbolen des Tierkreises in die Programme der gotischen Sakralbauten einzogen.

Pieter Bruegel d. Ä. (1525/30–1569) bestimmte den weiteren Verlauf der ikonographischen Entwicklung im Wesentlichen und legte mit seiner Ikonographie das Fundament für eine reiche Nachfolge. In seiner fünf Bilder umfassenden Serie der Jahreszeitenbilder, entstanden als Auftragsarbeit des Kaufmanns, Bankiers und Kunstsammlers Nicolaes Jonghelinck (1517–1570), verrichten Menschen saisonalbedingte Arbeiten in einer typisierten Landschaft.

Fritz Griebel: Vier Jahreszeiten, 1930er-Jahre, Öl/Lwd., 90 x 130 cm.

Das Motiv der Vier Jahreszeiten scheint Fritz Griebel fasziniert zu haben. Es sind bisher zwei Gemälde und eine Tapisserie nebst Entwurf bekannt. Vielfach wurde bereits auf die Bedeutung antiker (Klein-)Kunst und antikem Gedankengut in Griebels Oeuvre hingewiesen. Seine Darstellung der Vier Jahreszeiten überrascht mit einer Neuinterpretation des antiken Sujets.

Fritz Griebel: Die Jahreszeiten, 1940er-Jahre, Öl/Lwd., 100 x 80 cm.

Wir sehen vier nebeneinander stehende junge, männliche Akte als Personifikationen der Jahreszeiten. Der Frühling ist im Gegensatz zu den anderen Personifikationen ganz nackt gemalt. Traumversunken lässt er aus seiner erhobenen Hand weiße Blüten fallen; sein Kopf ist im Dreiviertelprofil wiedergegeben, sein Blick ist in den Himmel gerichtet. Ein hellblaues Band ist locker um seinen Körper geschlungen, das vom Sommer mit einer Hand festgehalten wird.

Um die Hüften hat er ein rotes Tuch geschlungen. Die gelben Kornähren in seiner linken Hand heben sich prägnant von seinem braun gebrannten, muskulösen Körper ab. Seine und die Haut des Herbstes ist deutlich dunkler als die des Frühlings. Der Sommer steht breitbeinig und fest auf dem Boden, er tänzelt nicht wie der Frühling. Er blickt uns mit entschlossenem Blick an – so schnell will er sich nicht wieder vertreiben lassen.

Und doch reiht sich ihm schon der Herbst an. Auch er steht uns frontal gegenüber. Sein Gesicht ist noch mehr verschattet als das des Sommers. Vor seinem Bauch hält er mit beiden Händen große, blaue Trauben, die er auch in einem Korb vor ihm auf dem Boden gefüllt hat – die Ernte hat begonnen.

Verstohlen blickt uns der Winter an. Griebel malte ihn als eine in ein weißes Tuch gehüllte Rückenfigur. Sein ebenfalls verhüllter Kopf dreht sich über seine Schulter zu uns um und zeigt uns die fast trotzig anmutenden Gesichtszüge eines Jünglings.

Füllen die vier männlichen Akte fast die gesamte Bildfläche, lässt sich dennoch beobachten, dass sich Himmel und Landschaft den Jahreszeiten anpassen: Frühling und Sommer stehen vor einem klaren Himmel auf grüner Wiese. Beim Herbst beginnt der Himmel sich zu verdunkeln, bis er beim Winter nur noch grau-blau ist und die Wiese nun mit Schnee bedeckt wird.

Fritz Griebel: Vier Jahreszeiten, 1949, Tapisserie, 179 x 228 cm, Bayerische Staatsbank, Nürnberg.

Fritz Griebel interpretiert das Thema neu, indem er zum einen die traditionelle Ikonographie novelliert. Er stellt die Allegorie des Frühlings nicht als junge Frau mit einem Blütenkranz dar. Seine Allegorien sind junge, kraftvolle Männer, die ihr Daseinsrecht verteidigen. Griebel psychologisiert die Natur. Der Gesamtausdruck des Bildes ist melancholisch. Die Farbpalette ist im Vergleich zur früheren Fassung des Themas (siehe Abb. links) reduziert auf Braun und Blau. Die Gesichtszüge der Männer – mit Ausnahme des verträumten Frühlings – sind entschlossen und resigniert zugleich. Griebel visualisiert hierdurch die „ewige Wiederkehr des Gleichen“ (Nietzsche).

Antje Buchwald

 

Literatur:

Karen Sabine Meetz: Tempora triumphant. Ikonographische Studien zur Rezeption des antiken Themas der Jahreszeitenprozession im 16. und 17. Jahrhundert und zu seinen naturphilosophischen, astronomischen und bildlichen Voraussetzungen. Bonn 2003.