Die Nacht des kleinen Pierrots

Fritz Griebel: Die Nacht des kleinen Pierrots, 1962, Öl/Leinwand, 90 x 145 cm.

Dieses Bild ist ein gutes Beispiel für die subtile Kunst Fritz Griebels. Man meint, das Bild auf den ersten Blick leicht entschlüsseln zu können: auf einem dunkelblauen Hintergrund malte der Künstler verschiedene Formen und Piktogramme von Menschen. Doch schaut man sich das Bild genauer an, so entdeckt man in der oberen mittleren Bildhälfte einen locker gemalten Kreis, der aus unterschiedlichen Farbsegmenten zusammengesetzt ist wie hellblau, grüngelb, rotorgange, lila und rosa. Dem Kreis eingeschrieben ist eine weiße Figur mit bunten Knöpfen, großen blauen Augen und einer organgenen Nase.

Sie stellt in völlig reduzierter Form den Pierrot dar, jene Bühnenfigur, die der Pantomime Jean-Gaspard Deburau 1816 in Paris aus der Figur des Pedrolino der Comedia dell’arte und der Figur des Gilles aus Pariser Jahrmarktstheatern entwickelt hatte. In weiße wallende Gewänder gehüllt, verkörpert der weiß geschminkte Clown Naivität und Melancholie.

Betrachtet man sich das Bild nun von Neuem, so fällt auf, dass die Farbpalette des Kreises und des kleinen Pierrots Fritz Griebel auch in den anderen Formen des Bildes wiederholte, was maßgeblich zu seiner Harmonie beiträgt. Auffällig ist das rote Farbfeld auf blauem Hintergrund oder in einem blauen Rahmen, welches sich unmittelbar unter dem Kreis mit dem Pierrot befindet. Auf dem fast rechteckigen Farbfeld ist ein stilisiertes Clownsgesicht zu entdecken, das nur einzelne Gesichtsformen wie Augen, Nase, Mund und zwei Haarsträhnen vorweist. Das Gesicht zeigt ein breites Grinsen, es wirkt fast diabolisch und bildet somit einen Gegenpol zum kleinen Pierrot. Vielleicht ist mit diesem Gesicht die Figur des Harlekins gemeint, der – in ein Flickengewand aus bunten rautenförmigen Stoffteilen gekleidet –, zu allerlei derben Späßen aufgelegt ist.

Neben dem Clownsgesicht schließt sich ein hellblaues Farbfeld an, auf dem sich ein rosafarbener Kreis befindet, der am unteren Rand abgeschnitten ist. Auf dem Kreis sieht man entweder ein Piktogramm eines Akrobaten oder Gesichtsteile wie Auge, Nase und Mund. Sowohl die Gesichtsformen des Clowns als auch die des Akrobaten bzw. des traurigen Gesichtes sind von gelben dünnen Linien umgrenzt.

Auch taucht auf beiden Segmenten jeweils ein Kreis aus einer gelben dünnen Linie auf. Im Gegensatz zum Kreis des Pierrots wirken die gelben Kreise wie mit dem Zirkel gezogen. Das Motiv des Kreises rekurriert auf das runde Zirkuszelt (Zirkus meint auf Lateinisch ‚Ring’), wobei der Kreis des kleinen Pierrots wie ein Rahmen funktioniert. Die übrigen Piktogramme zeigen Akrobaten und Jongleure.

Fritz Griebel schuf mit diesem Bild einen poetischen Beitrag zu Zirkusdarstellungen in der bildenden Kunst, die bereits seit dem Ende des Mittelalters Thema wurden. Während seit Ende des 19. Jahrhunderts die Künstler daran interessiert waren, den Schein dieser künstlichen Zirkuswelt zu offenbaren und die Artisten als Außenstehende der Gesellschaft darzustellen, konzentrierte sich Fritz Griebel darauf, die Zirkuswelt in ihre elementaren Zeichen zu übersetzen. Hierbei gelang ihm ein zutiefst stimmungsvolles Bild aus der Sicht des kleinen Pierrots.

Antje Buchwald