Heiner Griebel

Heinrich Griebel, Mitte bis Ende der 1920er-Jahre, Öl/Lwd., 60 x 50 cm

Ein Mann in Anzug, Hemd und Krawatte sitzt auf einem Stuhl. Lässig hat er den rechten Arm über eine Stuhllehne gelegt, der linke, an dessen Finger ein Ehering aufleuchtet, liegt angewinkelt auf seinem Oberschenkel. Sein markantes Gesicht wird rechts etwas verschattet. Er trägt einen Oberlippenbart. Seine blauen Augen blicken an den Betrachter vorbei, und sein blondes volles Haar ist streng nach hinten frisiert.

Dieses Dreiviertelporträt zeigt den ältesten Bruder Fritz Griebels, Heiner Griebel (um 1890–1960), der Pfarrer wie der Vater und früherer Melanchthonschüler in Nürnberg war. In diesem erst kürzlich wiederentdeckten Frühwerk, Griebel muss Mitte zwanzig bis Ende zwanzig gewesen sein zum Zeitpunkt seines Entstehens, setzte er sich mit dem Impressionismus auseinander.

Die französischen Impressionisten – wohl die einzige Künstlergruppe des 19. Jahrhunderts, die einerseits als eng umschlossene Gruppe wirklich neuartige Kunstprinzipien schuf und andererseits qua der Begabung des Einzelnen sich so frei entwickeln konnte –, zogen ein Studium der Natur(wissenschaften) dem Akademieunterricht vor. Sie malten möglichst farbintensive, kontrastreiche, reinfarbige und möglichst wertfreie, ,belanglose‘ Motive, jenseits der alten religiösen und gesellschaftlichen Ordnungen. Der Luminarismus war für sie von zentraler Bedeutung.

Auch der Malstil veränderte sich: Der Kontur löste sich zugunsten einer skizzenhaften, nur andeutenden Handschrift auf. Erst im Auge des Betrachters wird die Zerlegungsmethode aufgehoben, wie Fritz Griebel es besonders in den Farbabstufungen im Jackett demonstriert. Möglicherweise ist der untere Bereich unvollendet, denn hier scheint sich die dunkelblaue Farbe wie eine Decke um den unteren Oberkörper zu legen.

Der Hintergrund verdient besondere Beachtung. Das ornamental-florale Motiv ist bisher singulär im Werk Griebels. Er gliedert sich in drei Segmente von links nach rechts: Vertikale, nicht klar von einander abgegrenzte grau-blaue Farbbahnen wechseln in Höhe Heiner Griebels Kopfes über in rosafarbene, weißliche, blaue und gelbe Blüten mit grünlichen Blättern. Auf der rechten Bildhälfte sind hingegen vegetative Ornamente in Braun- und Weißabstufungen zu sehen.

Hier nahm Griebel formale Anleihen am Japonismus, der zunächst für die französischen Impressionisten ab 1860 hinsichtlich der Motive, Aufsichten, ausschnitthafter Kompositionen, Flächenbetonung und Zweidimensionalität wichtig wurde. Japonismus war ein kulturelles Phänomen des modernen Westens, das Bilder von ,Japan‘ als sein kulturell Anderes zeigt. Griebels teppichartiger Hintergrund ist wie Gustav Klimts (1862–1918) Dame mit Fächer eine Interpretation japanischer Farbholzschnitte.

Das Porträt seines Bruders muss Griebel während oder kurz nach seinem Studium der Malerei bei Hans Meid (1883–1957) an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin gemalt haben. Der Impressionismus entwickelte sich in Deutschland gut zwanzig Jahre später als in Frankreich – in den 1880er-Jahren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Meid gehörte mit zu den führenden deutschen Impressionisten. Griebels Bildnis ist Ausdruck für das Suchen nach dem eigenen Stil. Das ausgeprägte Gefühl für Farbe und Komposition ist hier bereits vorgeprägt.

Antje Buchwald, Mai 2021