Es muss im Jahr 1926 gewesen, als Fritz Griebel eine kleine Ausstellung mit Gemälden von Cézanne (1839–1906) sah. Diese Begegnung muss den jungen Künstler dermaßen beeindruckt haben, dass er noch im selben Jahr für zwei Monate nach Paris reiste.
Paris – heute noch als Stadt der Künstler und Literaten bekannt und berühmt –, war die Stadt, in der Kunstgeschichte geschrieben wurde. In der Zeit vor 1900 herrschte hier z.B. der Impressionismus, Post-Impressionismus und der Art Noueau vor; zwischen den Jahren 1901 bis 1914 dominierte der Fauvismus und Kubismus.
Der ländliche Montmarte zog im 19. Jahrhundert zahlreiche Künstler an, die hier ein freieres und billigeres Leben führen konnten als in der Stadt. Unter ihnen waren heute weltbekannte Künstler, wie Renoir, van Gogh oder Toulouse-Lautrec.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts und dann verstärkt nach dem Ersten Weltkrieg verließen viele Künstler Montmarte und ließen sich in Montparnasse nieder. Bildende Künstler, Dichter und Komponisten kamen aus der ganzen Welt. Sie suchten in diesem Schmelztiegel der Kreativität auch eine billige Wohnung in einer der Künstlerkolonien, wie z.B. La Ruche zu finden. Unter ihnen waren u.a. Picasso, Modigliani, Léger, Gris, Matisse. Natürlich zog so eine Atmosphäre auch reiche Intellektuelle an, wie Peggy Guggenheim oder Gertrude Stein.
Die Cafés und Bars waren die Orte, an denen die neuen Ideen geboren wurden. Für wenig Geld konnten die Künstler einen Tisch für die ganze Nacht besetzen. Häufig kam es zu Streitereien, manchmal durch Alkohol oder durch intellektuelle Meinungsverschiedenheiten. Die Polizei rückte bei Prügeleien nicht aus. Viele Künstler konnten eines ihrer Bilder als Pfand bei den Café-Besitzern hinterlegen und später gegen Bezahlung wieder auslösen. So hatten viele Cafés heute eine bedeutende Sammlung von Bildern an den Wänden.
So ist es nicht verwunderlich, dass Fritz Griebels zweite Studienreise ihn nach Paris führte. Cézanne, der in Aix en Provence lebte, und sich vom Trubel fern hielt, gilt heute als Vater der Moderne. Er übte auf viele Künstler, wie auch auf Fritz Griebel, Einfluss aus.
Das Werk des Monats muss unmittelbar nach seiner Reise entstanden sein. Es zeigt den Künstler im grauen Anzug mit Krawatte vor einem geöffneten Fenster in einem Hotelzimmer. Lässig lehnt er an der geöffneten Fensterscheibe. Gardine und rote Vorhänge sind weggezogen und geben keinen Blick frei. Er wird von den geschlossenen grauen Fensterläden vom gegenüberliegenden Haus versperrt.
Die Gesichtszüge des Malers sind kaum zu erkennen. In dem gedrängten Zimmer steht vor Fritz Griebel ein Tisch mit einer hellroten Tischdecke mit dünnen schwarzen Streifen. Auf dem Tisch befinden sich ein Zeichenblock, Notizen, ein gelbes Buch und ein Krug. Der Stuhl ist vom Tisch weggerückt und wirft einen Schlagschatten. Die Wand ist zum Teil mit Holzpaneelen vertäfelt und mit einer rot-auberginenfarbenen gestreiften Tapete verziert. Vor dem Tisch befindet sich ein Bett mit einer dunkelgrauen Decke; rechts sehen wir einen stark beschnittenen Holzschrank.
Der Einblick in das kleine Zimmer vermittelt einen Eindruck von den typischen Pariser Häusern im so genannten „Haussmann-Stil“ nach der Stadtsanierung durch Baron Hausmann ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, die Paris zu einer modernen Metropole machen sollte.
Es ist erstaunlich, dass Fritz Griebel keine Stadtansicht malte, sondern ein Interieur. Er malte sich in seinem spärlichen Hotelzimmer als Mann von Welt, der – einem Schnappschuss gleich –, gerade in Kamera schaut.
Ein Interieur ist die Darstellung eines Zimmers oder Innenräume eines Gebäudes. In ihnen können häusliche, auch intime Tätigkeiten verrichtet werden. Seit dem 17. Jahrhundert ist das Interieur eine eigene Bildgattung. Ausgehend von den Niederlanden wurde das Interieur im 18. und 19. Jahrhundert auch ein beliebtes Thema in Mittel- und Nordeuropa. Im 19. Jahrhundert wurde der menschenleere Räume populär, während im 20. Jahrhundert der Raum mit magischem Dasein und metaphysischem Grauen besetzt wurde.
Fritz Griebels Interieur ist eine Inszenierung. Bereits in den Anfängen der Gattung in den Niederlanden, war das Moment der Inszenierung maßgeblich. Pieter Janssens Elingas Interieur zeigt eine fiktive Szene. Die Personen sind austauschbar. Es sind anonymisierte Figuren in ihren sozialen Rollen. Die Gesichter sind zum Teil verborgenen. Die Komposition ist streng perspektivisch angelegt. Wert legte der Künstler auf die Ausstattung des Raumes: den gekachelten Fußboden, den Einblick in ein weiteres Zimmer, welches einen Ausblick nach draußen ermöglicht.
In Fritz Griebels Interieur findet keine Verbindung zwischen Innen und Außen statt. Der Maler, auf dessen Tätigkeit keine Attribute hindeuten, ist völlig abgeschieden. Fast scheint es, als habe der Künstler sich in sich zurückgezogen, um die neuen Eindrücke in der Kunststadt Paris zu verarbeiten.
Antje Buchwald 2015
Literatur:
- Dan Franck: Montparnasse und Montmartre: Künstler und Literaten in Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Berlin 2011.
- Heinrich Höhn: Fritz Griebel und seine Scherenschnitte. In: Mein Frankenland, Nr. 6, 2. Jg (1929), S. 236–247, über Paris S. 240.
- Karl Schütz: Das Interieur in der Malerei. München 2009.