Krüge – weißt Du, was Krüge sind? – , Menschen schwebend oder in Unterhaltung, Vögel, Birnen, Orangen in Körben, ein Frühlingsstrauß, eine Landschaft am Abend: sind es nicht Dinge, die gemalt werden müssen? […] Alle Figuren und Gefäße suchen im Bild einen Rhythmus, eine Melodie, die zu uns herüberklingen möchte. Belastet sie nicht mit zu viel Problematik, sondern versucht ein wenig, ihr heimliches Leben zu verstehen. Man wird fragen: Warum aber gerade diese Form? Sie ist das Ergebnis ernster Arbeit und könnte nicht so oder so anders sein.
Fritz Griebel
Fritz Griebel ist unverkennbar ein Meister des Stilllebens. Schon früh macht sich diese Tendenz in seinem Werk bemerkbar, die ab den 1930er-Jahren zum Durchbruch gelangte. Das Element des Stilllebenhaften taucht bei ihm im Figürlichen, im Vegetativ-Pflanzlichen, im Dinglichen oder in der Vermischung aller Bereiche auf.
Die Geschichte des autonomen Stilllebens beginnt um 1600 in den Niederlanden, Deutschland, Spanien und Italien. Im Barock (etwa 1600–1770) erfreute sich das Stillleben in Europa und hier besonders in den Niederlanden und Flandern großer Beliebtheit und entwickelte sich zu einer eigenen Gattung in der Malerei. Es entstanden zahlreiche Unterarten der Stilllebenmalerei, wie etwa das Bücher-und Vanitasstillleben, das Mahlzeitstillleben, das Fischstillleben, das Blumen- und Früchtestillleben oder das Raucherstillleben.
In der europäischen Kunsttradition versteht man unter einem Stillleben die Darstellung toter bzw. regloser Gegenstände, die nach inhaltlichen, oft symbolischen und ästhetischen Kriterien ausgewählt und gruppiert wurden. Der Begriff »Stillleben« (niederl. still = unbewegt, leven = Leben, Dasein, Modell) für ein Gemälde findet sich zum ersten Mal in einem niederländischen Inventar aus dem Jahr 1650. Der Künstler und Kunstschriftsteller Arnould Houbraken (1660–1719) übernahm zu Beginn des 18. Jahrhunderts den Begriff »stilleven« in seinem dreibändigen Werk »De groote schoulburgh der Nederlantsche konstschilders en schilderessen (1718–1721). Der Maler und Kunsthistoriker Joachim von Sandrart d.Ä. (1606–1688) prägte den Begriff »stillstehende Sachen« in seinem großen Quellenwerk der deutschen Kunstgeschichtsschreibung »Teutsche Academie der edlen Bau-, Bild- und Mahlereykünste (zwischen 1675 und 1779). Erst Mitte des 18. Jahrhunderts wird das Wort »Stillleben« in der niederländischen Bedeutung in der deutschen Sprache verwendet. Auch die französische Bezeichnung »nature morte« oder »vie coye« ist Mitte bzw. Ende des 18. Jahrhunderts belegt, obwohl sie vielleicht in theoretischen Diskussionen der französischen Akademie im 17. Jahrhundert geprägt worden ist. Schließlich hatte sich der Begriff »Stillleben« als Gattungsbezeichnung in den diversen Übersetzungen (stilleven, nature morte, still life usw.) etabliert.
Bis ins 18. und 19. Jahrhundert nahm das Stillleben in der akademischen Rangfolge der Bildgattungen – Historie, Genre, Porträt und Landschaft –, den niedrigsten Rang ein. Hierdurch war es von hohen Erwartungen entbunden und erwies sich bis ins 20. Jahrhundert hinein als Experimentierfeld für Künstler. Die Auseinandersetzung mit dem Stillleben bot wie kein anderes Thema einen ungemeinen Freiraum, um sich mit bildimmanenten Problemen, mit Komposition, Licht und Farbe auseinanderzusetzen.
Kein geringer Maler als Paul Cézanne (1839–1906), der von Fritz Griebel sehr geschätzt wurde, schuf mit seinen Stillleben neue malerische Sichtweisen. Der Auflösung fester Konturen in flimmerndes Licht und die Entdeckung farbiger Schatten im Impressionismus, entgegnete Cézanne mit ausgeprägten, derb und heftig ausgeführten Pinselstrichen, mit denen er relativ bestimmte Formen malte.
In seinem »Stilleben mit Äpfeln und Orangen« ist auf einem diagonal ins Bild gerückte, nicht eindeutig zu definierbaren Möbelstück ein weißes Tischtuch in kunstvollem Faltenwurf drapiert. Es steht im Kontrast zu dem ornamentierten Stoff des Möbelstücks. Auf dem Tischtuch stehen ein weißer Teller mit Äpfeln, eine weiße Obstschale mit Orangen und ein geblümter Keramikkrug. Einige Früchte drapierte der Franzose kunstvoll auf das Tischtuch, die fast in die Ornamentik der Stoffe übergehen.
Hatten die Niederländischen Künstler Stilleben geschaffen, um ihre Virtuosität zur Schau zu stellen, wählte Cézanne seine Motive in der Absicht, spezifische bildnerische Probleme zu studieren, die er lösen wollte. Die Beziehung zwischen Farbe und Modellierung faszinierte ihn besonders. Eine bunte Kugel, also ein Apfel oder eine Orange, eignete sich hierfür am besten. Auch war er an einer ausgewogenen Komposition interessiert, weshalb er in seinen Stillleben Gegenstände derart zusammenstellte, verkeilte und abstützte, bis er genau das Arrangement erhielt, welches für ihn ausgewogen war.
Betrachten wir uns nun das Stillleben Fritz Griebels, so fällt sofort die farbliche Brillanz ins Auge. Auf wenige Farbtöne beschränkt, zeigt Griebel in diesem Bild einmal mehr seinen äußerst sensiblen Umgang mit Pinsel und Farbe. Die Grundfarben Rot, Grün und Blau setzte er mit der Zugabe von Weiß gekonnt in Szene.
Vor einem hellblauen Hintergrund heben sich kraftvoll fünf Gefäße ab. Sie nehmen fast die gesamte rechteckige Bildfläche ein. Ein rosaroter Krug wird von drei rotorangenen gerahmt. Auf einem blauen Krug, dessen Öffnung geschwungen ist, wehen gelbe Pollen aus einer Blüte ohne Blütenblätter. Fünf Blumenstengel, teilweise mit rosenähnlichen Blättern, schweben an den Gefäßen vorbei und gliedern die Bildfläche in eine obere und untere Zone. Drei Stengel schweben horizontal jeweils durch die Henkel der zwei großen amphoraähnlichen Krüge und des kleineren bäuchigeren, der über dem blauen Krug zu schweben scheint. Kontrastieren die drei Blumenstengel die vertikale Ausrichtung der Gefäße, die auf einem rotem Grund stehen, so betonen zwei weitere Blumenstengel die Horizontalität des kleinen orangefarbenen. Der schwebende gelborganefarbene Kürbis und die Melone in der linken Bildhälfte korrespondieren mit dem Fruchtknoten in Farbe und Form auf der rechten Bildhälfte.
Im Vergleich zu Cézannes Stilleben ist Griebels formal reduzierter – kein schmückendes Beiwerk, keine Üppigkeit, kein Überfluss. Es ist kein Resultat eines Studienobjekts, sondern ist einzig aus der Phantasie des Künstlers gespeist. Aber in der Wahl der Dinge mit einfachen, charakteristischen, nicht selten stereometrischen Grundmustern nahestehenden Formen, wie etwa einem kugelförmigen Kürbis oder Melone und zylindrischen Krügen, zeigt sich deutlich das Erbe des Franzosen.
Betonte Cézanne die naturalistische Auffassung der Darstellung, so ist Griebels Stillleben surreal. Gibt er Form und Modulation – besonders schön an den rötgrünlichen Schatten auf den rotorangefarbenen Krügen zu sehen –, zwar nahezu authentisch wieder, so ist das Motiv des Schwebens über-natürlich. Dieses Motiv ist in vielen Bildern aus den 1930er-Jahren zu beobachten und wurde bereits in anderen Werken des Monats ausführlich dargelegt. Nur der schlanke rotorangefarbene und blaue Krug scheinen auf dem roten Grund zu stehen. Die zwei großen Krüge scheinen zu schwanken, während der bäuchige Krug tatsächlich schwebt, wie auch der Kürbis und die Blumenstengel der Schwerkraft entsagt haben.
Fritz Griebel malte kein Stillleben mehr im eigentlichen Sinn. Seine Gegenstände sind zwar harmonisch arrangiert und verlieren wie bei Cézanne ihre symbolische Bedeutung, aber sie sind nicht unbewegt oder tot. Sie sind heiter, phantasievoll und leicht. Sie künden von Lebensfreude, die maßgeblich durch den harmonischen Farbklang warmer und kalter vermittelt wird. Das Stillleben ist mit kindlicher Naivität gemalt, die oft nur von großen Künstlern eingefangen werden kann.
Literatur/Zitat:
- Albrecht Dürer Gesellschaft Nürnberg (Hg.): Fritz Griebel. Aspekte eines Lebenswerkes. Aquarelle, Zeichnungen, Bilder. Nürnberg 1979, unpag.
- Sybille Ebert-Schifferer: Die Geschichte des Stillebens. München 1998