Dieses Stillleben ist in Farbwahl und Komposition singulär im Werk Fritz Griebels. Die Verwendung von sattem Grün, Orange und Blau konnte bisher in der Weise in keinem anderen Werk beobachtet werden. Mit diesem Werk des Monats bekräftigt Griebel einmal mehr seine Meisterschaft in der Stilllebenmalerei.
Auf einem Tisch mit einem orangefarbenen Tisch sind diverse Gegenstände verteilt. In der Mitte steht ein vasenähnlicher Gegenstand mit muschelförmiger Öffnung neben einer antikisierenden Vase mit drei Henkeln. Beide Gefäße sind mit Blau und Grün gemischtem Weiß gemalt. Hinter ihnen stehen leere Rahmen und Papiere mit angedeuteter Schrift wölben sich nach unten.
Links neben der Vase liegen zusammengerollte Stoffservietten, auf einem Eierbecher liegen zwei Birnen, das Ei liegt daneben sowie eine Zitrone und ein Eierlöffel, dessen Mulde auf der Tischkante liegt. Auf der rechten Tischseite sind verschiedene Früchte, eine Walnuss und eine weiße Schüssel mit blauen Trauben angeordnet.
Im Gegensatz zu den Stilllebenmalern des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden geht es Griebel nicht um die naturalistische Wiedergabe des Gegenstands. Davidsz. de Heem (1606–1684) Stilleben mit Früchten, Blumen, Gläsern und Hummer bezieht seinen Reiz aus der Vielfalt makellos gemalter Oberflächenstrukturen – angefangen bei der saftigen Weichheit der Früchte, der Glanz der Gläser bis zur harten Schale des Hummers.
Griebel verfolgt mit seinem Stillleben eine andere Absicht. Er hinterfragt die Möglichkeiten von Malerei. Auffällig sind die divergierenden Perspektiven. Während der Tisch in Aufsicht gemalt ist, scheinen die Gegenstände auf den ersten Blick in Frontalsicht wiedergegeben. Doch auch hier stimmt die Perspektive nicht, denn die Servietten und Früchte unter der Obstschale sind ebenfalls in Aufsicht dargestellt.
Die von den Kunstakademien als weniger bedeutsam eingestufte Bildgattung findet im Werk Griebels eine ästhetische Aufwertung. Sie nimmt ihren Ausgangspunkt in den unzähligen Stillleben Paul Cézannes (1839–1906), Griebels Vorbild seit 1926.
Cézanne schuf mehr als 190 Stillleben. Minutiös kombinierte und arrangierte er Haushaltsgegenstände mit alltäglichen Obst- und Gemüsesorten. Sein Stilleben mit Äpfeln und Pfirsichen von 1905 ist Kulminationspunkt seines kontinuierlichen Interesses an der Gattung Stillleben.
Auf einem dekorativen Holztisch liegen rote, gelbe und orangefarbene Äpfel und Pfirsiche übereinander und nebeneinander. Die Früchte konstituieren sich aus unterschiedlichen Formen, die sich mit blau-schwarzen Umrisslinien von einander abgrenzen.
Kunstvoll sind eine weiße Tischdecke und ein schwerer, erdfarbener, ornamentaler Stoff auf den Tisch drapiert. Ein weißer mit bunten Blüten bemalter Krug wird von dem faltenreichen Stoff, der eine Anspielung auf barocke Bild-Raum-Bühnen ist, hinterfangen. Ein weiteres Gefäß mit wellenartiger Wand sticht aus dem fast schwarzem Hintergrund hervor.
Wie Griebels Bild, so stiftet auch Cézannes Verwirrung beim Betrachter: Der Tisch wurde sowohl frontal als auch in Aufsicht gemalt. Er bewegte seine Leinwand, um die Objekte in verschiedenen Perspektiven zu zeigen. Äpfel und Pfirsiche können jeden Moment vom Tisch kullern.
Cézanne revolutionierte die Malerei. Ein vielfacher Perspektivenwechsel und das Mittel der Deformation läuten einen Paradigmenwechsel ein, der zur kubistischen Malerei führte. Picassos (1881–1973) Obstschale und Brot auf einem Tisch, nur wenige Jahre nach Cézannes Bild gemalt, wird in der Forschung als „protokubistisch“ (Alfred Barr) eingestuft. Es steht zwischen dem revolutionären Werk Demoiselle d‘Avignon (1907) und dem analytischen Kubismus.
Unverkennbar ist der Einfluss des Franzosen, der die Natur zu geometrisieren versuchte, indem er Formelemente wie Kugel, Zylinder und Kegel verwendete. Auch die Draperie der Stoffe ist eine Reminiszenz an den „Vater der Moderne“. Im analytischen Kubismus (etwa 1909–1911) wird die Form aus dem Gegenstand entwickelt und auf stereometrische Grundformen reduziert. Der Gegenstand wird dergestalt facettiert, dass sich trotz simultaner Darstellung verschiedene Ansichten des jeweiligen Dinges ergeben.
Das Stilleben wird besonders im frühen 20. Jahrhundert zum Experimentierfeld der Künstler, da es im Ruf einer weniger bedeutsamen Gattung steht. Griebels Stillleben ist stilistisch in der Nähe Cézannes und des frühen Kubismus einzuordnen. Picassos Obstschale wird zu einem Eierbecher, den schweren grüngemusterten Vorhang deutet Griebel nur als Farbfläche an. Die leeren Bilderrahmen können als Metapher für die Malerei gedeutet werden. Eine Malerei der Dinge, die harmonisch aber spannungsvoll auf der Grundlage des gleichen Seins die Fülle des Lebens enthält.
Antje Buchwald 2017
Literatur:
Günter Brucher: Stilllebenmalerei von Chardin bis Picasso. Tote Dinge werden lebendig. Wien, Köln u.a. 2006