Ein großes hellbeiges Ei, eine sattgrüne Birne, kleinere Kugeln und weiße und rote Stäbe schweben vor einem hellblauen und rostroten Hintergrund. Die Objekte zeichnen sich durch klare Formen aus. Sie sind konturiert und stehen im Gegensatz zum malerischen Hintergrund, bei dem die Farben weich ineinander übertreten. Nicht nur die Formen sind einfach, auch ihre Farben sind kaum gemischt. Formen und Farben sind äußerst kontrastreich gemalt. Spannungsreich setzt der Künstler verschiedene geometrische Formen wie Kreis und Stab zueinander in Beziehung.
Fritz Griebel zeigt uns ein Stilleben, das nicht still ist. Die Gegenstände scheinen wie Planeten in einem Universum zu schweben. Sie liegen nicht mehr wie in dem wahrscheinlich früher gemalten Stilleben auf einem Tisch, auf dem kunstvoll nach Cézanne (1839-1906) ein Tischtuch drapiert wurde. Griebel transformiert in dem hier zu analysierenden Bild vielmehr seine Seheindrücke und geht über die Realität hinaus.
Im Suprematismus, einer streng gegenstandslosen Stilrichtung in der Malerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts, die sich aus geometrischen Primärformen, wie Quadrat, Rechteck, Kreuz usw., konstituiert, entwickelte sich das Schweben zu einem wichtigen Motiv. Nach Kasimir Malewitsch (1878-1935), der den Suprematismus (lat. supremus = höchst, äußerst) 1913 entwickelte, sollte in der Kunst die „reine Empfindung“ die Oberherrschaft (Suprematie) einnehmen. Das Bild sollte rein piktural sein ohne Beziehung zur Natur.
Malewitschs Bild „Suprematism“ zeichnet sich durch Spannungen der Formen, die dem Bild Dynamik verleihen, aus. Den Zustand des Schwebens, der Schwerelosigkeit, erzielen Griebel und Malewitsch, indem sie Überschneidungen der Formen evozieren. Während sie bei Malewitsch reine Flächen sind, zeigt uns Griebel Körper mit Schlagschatten. Ist der Hintergrund bei Malewitsch monochrom, so ist er für Griebel wesentliches Kompositionsmittel. Kontrastreich antwortet er auf die grüne Birne und die roten Stäbe am linken Bildrand. Die an den Seiten angeschnittenen Körper unterstützen zudem den Eindruck der Schwerelosigkeit: Sie scheinen gerade in dem Augenblick in den Bildausschnitt hineinzuschweben. Die Konsistenz der Körper scheint fest, der Hintergrund, besonders die rotbraune Farbfläche, scheint dagegen flüssig. In Differenz zu Malewitsch vertreibt Griebel die Natur nicht aus der Kunst. Sie ist ihm immer eine Lehrmeisterin gewesen, deren Formen er hier jedoch abstrakt reduziert.
Auch die Geometrisierung der Formensprache Kandinskys (1866-1944), der zwischen 1918 und 1923 im regen Austausch zu Malewitsch stand, wird vom Schweben bestimmt. Deutlich wird dies in seinen Bildern aus der Bauhaus-Periode (1922-1933). Aber nicht nur über Kandinskys Vorbild und Unterricht gelangte das suprematistische Motiv der schwebenden Balance abstrakt-geometrischer Formen und Körper in die Ästhetik des „Bauhauses“. Auch im Schaffen Moholy-Nagys (1895-1946) spielte es eine zentrale Rolle in den Jahren 1923 bis 1928. Und Hans Richter (1888-1976) und Viking Eggeling (1880-1925), Pioniere des abstrakten Films, verlassen das statische Tafelbild, um geometrische Grundformen schwebend auf der Filmleinwand zu zeigen. Sie wollen das raumzeitliche Element, die laut ihnen jeder Form anhaftet, unmittelbar zum Ausdruck bringen.
Das Motiv des Schwebens ist auch in Fritz Griebels Kunst häufig zu entdecken. So betitelte er selbst 1935 ein Bild mit „Schönes Schweben“. Es scheint ihm ein poetisches Stilmittel gewesen zu sein. In diesem Werk des Monats ist es jedoch ein Sinn-Bild für ein nicht näher bestimmendes, aber deutlich kosmisches empfundenes Raumgeschehen, für das Griebel seine eigene surreale Bildsprache findet.
Antje Buchwald