Heiliger Sebastian

Frietz Griebel: Heiliger Sebastian, um 1940, Tuschzeichnung mit Papier collés, 64 x 42 cm

Nahezu gestisch setzte Fritz Griebel seine schwarzen Striche und Pinselbahnen auf die Fläche, die wie im Stakkato den Heiligen Sebastien († um 288 in Rom) figurieren. Es ist eine Figuration zwischen Formauflösung und Formgenese. Der leicht nach links gedrehte nackte Körper formiert sich aus abgehackten, geraden Strichen; nur die Schultern, das Gesäß und eine Wade sind halbkreisförmig gezeichnet. Arme und Füße sind lediglich angedeutet. Dickere Pinselstriche, die sich zu einer Schattenpartie verdichten, verleihen der Figuration etwas Substanz.

Schwer neigt sich der Kopf des Heiligen, dessen Gesicht von dicken Strichen durchzogen ist, nach rechts. Er lehnt an der Säule, für die Griebel einen Papierstreifen senkrecht auf das Blatt klebte, auf das er die Körperlinien zeichnerisch fortsetzte. Ein dünner, roter Papierstreifen, der sich ungefähr in seiner Mitte leicht teilt, durchzieht Sebastians Körper diagonal.

Antonella da Messina: Der heilige Sebastian, um 1478, 171,3 x 86,5 cm. Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden.

Der Legende nach war Sebastian Hauptmann der Prätorianergarde am kaiserlichen Hof Diokletians. Er verheimlichte seinen christlichen Glauben, seine Stellung erlaubte es ihm jedoch, seinen christlichen Glaubensgenossen in den Gefängnissen Roms beizustehen. Auch konnte er einige römische Adelige bekehren und sorgte für die Bestattung der Märtyter.

Als Diokletian von Sebastians Glauben erfuhr, ließ er ihn an einen Baum binden und von numidischen Bogenschützen erschießen. Der für tot gehaltene wurde am Hinrichtungsort liegen gelassen. Dort entdeckte ihn Irene, die Witwe des Märtyrers Castulus und pflegte ihn gesund. Sebastian trat nach seiner Genesung vor den erstaunten Kaiser, um ihn die grausame Sinnlosigkeit seiner Christenverfolgungen vorzuhalten. Daraufhin ließ ihn Diokletian im Hippodrom des Palastes Domus Augustana auf dem Palatin in Rom zu Tode geißeln oder mit Keulen erschlagen. Sebastians Leiche ließ er in die Cloaca Maxima, den größten Abwasserkanal Roms, werfen. Im Traum erschien er Lucina und wies ihr den Ort, wo sein Leichnam lag, so dass sie ihn den Katakomben bestatten konnte.

Besonders Sebastians erstes Martyrium, der Pfeilbeschuss, fand Eingang in die Kunstgeschichte. In der Kunst der Renaissance entwickelte sich unter dem Einfluss spätmittelalterlicher Schmerzensmann- und Ecce-homo-Darstellungen aus dem anfänglich bekleideten Mann ein Jüngling als der häufigste Typus: ein halb- oder bis auf den Lendenschurz entblößter junger Mann ist an einem Pfahl, Baum oder Säule gebunden, Pfeile durchbohren Brust und Arme. Hiermit wird auf die Wunde Christus verwiesen, der Marterbaum steht für den Baum des Lebens.

Fritz Griebel: Heiliger Sebastian (Detail)

Durch die abgehackten Striche, welche die Pfeile symbolisieren, in Verbindung mit den Papiers collés, den ausgeschnittenen und aufgeklebten Papieren, gelingt es Fritz Griebel das Martyrium Sebastians sehr anschaulich zu vermitteln. Der blutrote Papierstreifen scheint den Körper gar zu durchtrennen. Es ist ein Akt der Gewalt, der hier fast buchstäblich vollzogen wird.

Die ausgeschnittenen, streng geometrischen Papierformen kontrastieren mit der die Kontur auflösenden Zeichnung. Das Bild ist ein für Griebel, der in seinem Werk stets nach der Harmonie der Form strebte, untypisches. Es ist ein höchst destruktives Element, welches hier zutage tritt.

Gilt der Heilige Sebastian als Schutzpatron gegen die Pest, seit 680 in Rom diese durch seine Reliquien abgewendet werden konnte und fortan „Sebastianspfeile“ gegen die Pest, der „anfliegenden Krankheit“ trug. Ferner ist er Schutzheiliger der Sterbenden, Soldaten und Kriegsinvaliden. Besonders letzte Bedeutung scheint in Griebels Zeichnung virulent: Der Heilige Sebastian wird zu einem Mahnmal gegen Krieg und Zerstörung, aber auch zu einem Märtyrer der Kunst zur Zeit des Nationalsozialismus, in der die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks sehr starken Repressionen unterlag.

Antje Buchwald
Kunsthistorikerin 2018

 

Literatur:

  • P. Assion: Sebastian. In: LCI. Lexikon der christlichen Ikonographie. Ikonographie der Heiligen. Rom/Freiburg u.a. 1994/2004, Bd. 8, S. 318–323.