„Er war immer immens fleißig, Pausen kannte er nicht, da war er immer mit Scherenschnitten beschäftigt. In dieser Sparte brachte er es zu einer hohen Meisterschaft, die auf diesem Gebiet einmalig in unserer Zeit ist.“ So berichtet Fritz Griebels Studienfreund Hermann Wilhelm im Jahr 1968.
Zeit seines Lebens widmete sich Griebel der Kunst des Scherenschnitts. Sein Scherenschnittwerk umfasst alle traditionellen Techniken und Gattungen, wie Silhouetten, genrehafte und religiöse Darstellungen sowie Ornamentik im Weiß-, Schwarz- und Buntschnitt, aber auch völlig neue Ausdrucksformen und Techniken.
1945 begann Fritz Griebel seine Papiere für die Scherenschnitte im handlithografischen Verfahren selbst zu drucken. Als Resultat entstanden gräuliche Blätter, die von nun an in seinem Werk häufig anzutreffen sind. Um 1950 bearbeitete Griebel zusätzlich auch den Bildträger, indem er ihn mittels eines Pinsels mit farbigen Flecken versah; später lithografierte er die farbig bearbeiteten Bildträger auch in größerer Zahl.
Der hier vorgestellte Rotschnitt zeigt ein Thema, mit dem sich Fritz Griebel in seinem Scherenschnitt-Werk oft beschäftigte: Ausdrucksformen des Altertums. Das kompositionell ausgewogene Bild zeigt im Zentrum ein größeres Idol, dessen Gesichtsmerkmale stilisiert sind: zwei ausgeschnittene Kreise für die Augen und eine vom Kopfansatz zwischen den Kreislinien begonnene Schnittlinie, die unterhalb der Kreislinien einen Bogen, d.h. die Nase, formt. Dem Körper des Idols ist ein zweites Idol, wahrscheinlich einem Brettidol um 500 v. Chr. nachempfunden, eingeschnitten. Nur durch eine Schnitt- bzw. Umrisslinie wird es figuriert.
Neben dem zentrierten Idol befinden sich rechts und links eine weibliche Figur, welche keine Arme hat und eine männliche Figur, dessen Beine bzw. Füße nahtlos in Gliedmaßen einer zweiten Figur überführt werden. Deren Oberkörper besteht nur aus abgewinkelten Armen und einem Kopf, in dem die Augen als Schnittlinie wiedergegeben sind, die als ein zur Seite geneigtes Fragezeichen gelesen werden kann. Diese Form wiederholt sich unter dem Bauch des Tieres, welches sich unter dem größeren Idol befindet. Unter der weiblichen Figur ist die kleinste Form des Bildes zu entdecken, die ein Gegengewicht zum Oberkörper der Doppelfigur bildet.
Beide Seitenfiguren werden von einer – wie es scheint – aus dem Kopf des größeren Idols herauswachsenden Form unterfangen: Der Kopf der weiblichen Figur, deren fragmentierter Oberköper an eine Skulptur denken lässt, wird von einer runden Blattform begleitet, während die männliche Figur in Beziehung zu einer eckigen Form, die man als Idol lesen kann, gesetzt wird.
Die Schnittformen ergeben insgesamt gesehen ein Rechteck. Nimmt man das große Idol mit dem eingeschnitten weiblichen Idol als Einheit war, so bilden die restlichen Formen einen Rahmen für diese Entität. Gelockert wird dieses feste Gefüge durch die roten Farbformen des Bildträgers.
Die Verbindung des weiblichen und männlichen Elements mit frühgeschichtlichen Urformen war ein zentrales Thema besonders im Scherenschnittwerk Fritz Gribels. Sie scheinen einen Bezug zu den in den 1960er Jahren populären Werken des Ethnologen und Anthropologen Claude Levi-Strauss zu haben.
Künstlern der klassischen Moderne wie z.B. Picasso oder Willi Baumeister galten so genannte ‚primitive’ Formen als Inspirationsquelle. Einzigartig ist diese Auseinandersetzung im Bildmedium Scherenschnitt. In diesem hier vorgestellten Werk kommt Fritz Griebels charakteristische archetypische Chiffrierung des Sichtbaren besonders zum Ausdruck. Seine Schnittbilder sind in der Kunst des 20. Jahrhunderts außergewöhnlich und mit der Essentialisierung der Form nur mit den gouaches découpés Henri Matisse’ vergleichbar.
Antje Buchwald