Selbstbildnis mit leeren Bilderrahmen

Fritz Griebel: Selbstbildnis mit leeren Bilderrahmen. 1947, Öl/Leinwand, 41 x 35 cm.

Die Selbstbefragung des Künstlers im Porträt ist seit der Renaissance ein bis heute wiederkehrendes Motiv in künstlerischen Werken. In allen erdenklichen Medien, wie Malerei, Zeichnung, Druckgrafik, Skulptur, Fotografie und Video wird die eigene Persönlichkeit repräsentiert. Sowohl die äußere Erscheinung als auch die geistig-psychologische Wesenheit wird zum Ausdruck gebracht. Es geht um nichts Geringeres als um die Beantwortung der Frage: Wer bin ich?

Albrecht Dürer: Selbstbildnis im Pelzrock, 1500, Öl/Holz, 67 x 49 cm, Alte Pinakothek, München.

Voraussetzung des Künstlerporträts war das Vorhandensein des Porträts selbst. Diese Gattung entwickelte sich in der europäischen Kunst um 1500. Galt der Künstler in Antike und Mittelalter als einfacher Handwerker, der hinter seinem Werk zurücktrat, so änderte sich dies in der Frühen Neuzeit mit der wachsenden Autonomie des Künstlers. Aus Assistenzfiguren entwickelte sich das isolierte Selbstporträt.

Fritz Griebel: Selbstporträt, 1922, Tuschzeichnung, 27 x 22 cm.

Bekannte Beispiele für die deutsche Kunst sind die Selbstbildnisse von Albrecht Dürer (1471–1528). Im „Selbstbildnis im Pelzrock“ präsentiert sich der junge Dürer in Frontalansicht im herrschaftlichem Ornat. Inspiriert von Christusikonen klingt in dem Bild die „Imitatio Christi“ an. Das Selbstporträt zeugt von dem frühneuzeitlichen Selbstbewusstsein des Künstlers, als Nachschöpfer Christi und der Forderung nach einer angemessenen sozialen Stellung.

Das Selbstporträt nimmt auch im Werk von Fritz Griebel eine prominente Stellung ein. Zu allen Zeiten und in diversen Techniken und Stilen setzte er sich mit seinem Selbst auseinander. Das hier vorzustellende Bild zeigt ihn im Dreiviertelporträt. Er trägt ein weißes Hemd. Die Hände, neben Pinsel und Palette, das Attribut eines Künstlers, zeigt er uns nicht. Stattdessen blickt er uns lediglich an. Und doch nicht. Denn zur Befragung seiner Persönlichkeit braucht der Künstler einen Spiegel. Es ist der gespiegelte Blick, der uns anzublicken scheint.

Dieser taxierende Blick begegnet uns noch ausgeprägter in einem frühen Selbstbildnis in Frontalansicht. Fragend und zweifelnd blickt der damals 22-jährige Griebel. Das Gesicht ist von der Krempe des Hutes verschattet, seine Gesichtszüge sind markant und wirken sehr reif. Etwas ungelenk hält der junge Künstler ein Glas in der Hand. Der Erste Weltkrieg ist erst vier Jahre her.

Nicolas Poussin: Selbstporträt, Öl/Lwd., 1649-1650, Musée du Louvre, Paris.

Fünfundzwanzig Jahre liegen zwischen den beiden Bildnissen. In dem kleinen Ölbild blickt uns kein zweifelnder Kunststudent mehr an, sondern ein reifer Künstler. Gekonnt setzte Griebel grünliche Streifen im Gesicht als Reflexionen auf der Haut ein. Es ist der einzige Farbtupfer in dem mit erdigen Farben gemalten Bildnis. Im Hintergrund schweben drei goldgelbe Bilderrahmen hinter seinem Kopf in unterschiedlicher Größe, von denen einer fast aus dem Bild zu schweben scheint. Die Bilderrahmen sind leer.

In der Geschichte der Kunst gibt es ein viel diskutiertes Selbstbildnis von Nicolas Poussin (1594-1694), in welchem sich der Barockkünstler vor hintereinandergestaffelten gerahmten Leinwänden malte. Sie gliedern den Hintergrund in Horizontale und Vertikale. Im Gegensatz zu Griebel sind die Rahmen nicht leer, sondern zeigen zum einen auf der Rückseite einer Leinwand eine Inschrift, die besagt, dass Poussin im Alter von 56 Jahren dieses Porträt in Rom im Jahr der Jubelfeier 1650 malte. Hinter der Leinwand sehen wir einen kleinen Ausschnitt eines Bildes im Bild. Es zeigt die Personifikation der Malerei, die Pittura, mit einem Augendiadem auf dem Kopf; zwei Arme umgreifen die Figur. Poussin malte sein Selbstbildnis für seinen Freund Paul Fréart. Allgemein lässt sich das Bildnis als Freundschaftsbild und als gemalte Kunsttheorie deuten.

Wer der Adressat für Griebels Bildnis war, oder ob er es für sich selbst malte, wissen wir leider nicht. Aber auch Griebels Selbstbildnis hat eine symbolische Implikation. Beide Künstler malten sich im Dreiviertelprofil. Während der Franzose sich vor gerahmte Leinwände präsentiert, zeigt uns Fritz Griebel lediglich die Rahmen. Wie sind nun die leeren Bilderrahmen in Griebels Selbstbildnis zu deuten?

Haus Rucker & Co: Rahmenbau, documenta 6, Kassel, Foto: Eva K., 2006.

Zunächst einmal ist ein Rahmen Zierde des Bildes. Er gibt ihm Fassung und hebt ihn von der Wand ab. Er wertet auf, was vielleicht nicht Bedeutung trägt. Ein Rahmen ist vor allem eine Grenze. Im Bild von Fritz Griebel fungieren die Bilderrahmen, die nichts als monochrome Farbflächen eingrenzen, als innere Bilder des Künstlers. Sie können symbolisch auf noch zu malende Bilder hindeuten. Oder es war Griebel kurz nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges nicht mehr vorstellbar, Bilder zu malen. Vielleicht fordert uns aber auch der Künstler auf, uns selbst auf die Suche nach Bildern zu machen, die wir einrahmen können. Vergleichbar wie das Künstlerkollektiv „Haus Rucker & Co“, das durch die begehbare Installation „Rahmenbau“ eine bewusste Wahrnehmung für die Umwelt schaffen wollte. Fest steht, die Bilderrahmen in Griebels und Poussins Selbstporträts sind ein Symbol für die Welt der Malerei. Fritz Griebel schuf eine moderne Allegorie auf den Künstler selbst.