Abstrakte Komposition

Fritz Griebel: Abstrakte Komposition, um 1964, Aquarell, 51 x 38 cm

In den 1960er-Jahren entstanden zahlreiche Serien in Kreide, Tusche und Aquarell, in denen sich Fritz Griebel mit den Strömungen der Abstraktion auseinander setzte. Erfolgte seine Beschäftigung mit abstrakter Malerei vergleichsweise spät, so ist sie doch implizit in seiner Kunst gewesen. Fritz Griebel war bestrebt in seiner Kunst, Form und Komposition harmonisch in Einklang zu bringen. Bereits in den 1930er-Jahren sind konstruktivistische Tendenzen in seinem Werk zu beobachten, in dem geometrische Elemente, wie Stäbe, Kegel, Kreise das Bildgeschehen beleben.

Warum wandte sich Griebel erst Ende der 1950-Jahren (vgl. Beweinung, 1958–1963) der Abstraktion zu? 1946 rückte die Abstraktion in den westlichen Besatzungszonen ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Sie galt als künstlerischer Aufbruch in die Zukunft. Griebel musste seine künstlerische Tätigkeit jedoch einschränken, da er seit 1946 Professor für Malerei und freie Grafik an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg wurde. Zwei Jahre später erfolgte seine Ernennung zum Direktor. Fortan war er mit verwaltungstechnischen Aufgaben und der Lehre betraut. Dass er dennoch nicht den Anschluss an die Nachkriegsmoderne verpasste, zeigen die folgenden Werkbeispiele.

Fritz Griebel: Abstrakte Komposition, 1960er-Jahre, kolor. Tuschzeichnung, 38 x 22 cm

Die Abstrakte Komposition von 1964 zeigt ein Gebilde aus einer großen dunkelblauen Kreislinie, die in eine blaue Rechtecklinie übergeht. Gefüllt ist der Kreis mit einer organgefarbenen Fläche, in der rote Umrisse von Kreuzfiguren und weiße Kreise als Leerstellen eingeschrieben sind. Links und rechts sind asymmetrische drei kleine Kreise mit roter Umrisslinie und orangefarbener Füllung um den Kreis angeordnet. Ein vierter mit dunkelvioletter Umrisslinie und dunkelorgangefarbener Füllung bildet den Übergang zur Rechteckfigur.

In dieser sind quadratische Formen mit violetter Umrisslinie und jeweils verschieden farbigen Füllungen von hellviolett, lila und rot kontrastreich angeordnet. Das größere Quadrat hat eine hellblaue Füllung, auf der sich ein leuchtend roter Kreis befindet. Er steht im Komplementärkonstrat zum blau-orangefarbenen Kreis. Diese beiden Figuren sind der Ruhepol für das Auge, das zunächst alle Formen und Farben simultan wahrnimmt. Darüber hinaus besteht der obere Bildbereich überwiegend aus warmen Farben, der untere aus kalten. Aus dem Rechteck scheinen die Formen zu purzeln und beleben die untere Bildzone. – Ein Symbol für die Schöpfung der Naturformen?

Mykenisches Idol (Gipsabguss), 3100–1100 v. Chr., Archäologisches Institut der Universität Göttingen (Inv.-Nr.: A 1688 a)

Ein Beispiel für Griebels Vorliebe für Formen der antiken Kleinplastik ist diese Tuschzeichnung. Wirkt das vorherige Bild zunächst chaotisch, ist dieses auf wenige Formen beschränkt, die klar umrissen mit der Feder sich vom blaugrauen Bildgrund abheben. Es sind Dreiecke, ein Kegel, zusammengesetzte geometrische Formen sowie ein Idol. Idole sind abstrakte menschenähnliche, überwiegend kleine Figuren, die aus Stein, Bronze, Elfenbein, Ton oder Holz geformt sein können. Sie waren für den Kult oder als Weih- oder Grabgeschenk bestimmt. Bereits Mitte der 1920er-Jahre interessierte sich Griebel für die Anfänge der Kunst.

Willi Baumeister (1889–1955) äußerte später in seinem Buch »Das Unbekannte in der Kunst« (1947), dass ein künstlerischer Neuanfang nur durch Rückerinnerung an vorvergangene, ursprüngliche, außereuropäische Kulturen gelingen könne; die Berufung auf gesicherte europäische Werte sei durch nationalsozialistischen Antikenmissbrauch entwertet. Nicht griechisch-klassische Schönheitsnormen, sondern das wiederausgegrabene Unbekannte, das Ursprüngliche und Fremde sei Träger des Künftigen. Baumeister hatte eine sehr große Sammlung über alte und außereuropäische Kulturen angelegt, die ihm als Inspirationsquelle diente. Er zeigte großes Interesse an kykladischen Idolen, die für ihn der wahrscheinlich stärkste Anreiz zum eigenen Tun und Schaffen gewesen seien.

Fritz Griebel: Abstrakte Komposition mit Haus, 1960, kolor. Tuschzeichnung, 25 x 22 cm

Die Abstrakte Komposition mit Haus ist ein schönes Beispiel für Griebels Wahrnehmung, Aneignung und Transformierung von Formen. Es zeigt links die Fassade eines Hause, die sich teilweise bereits in abstrakte Formen aufgliedert: die Tür, gekennzeichnet als weiße Leerstelle, bildet den Buchstaben „H“, die Perspektive wirkt verzerrt wie im expressionistischen Film.

Das Dach besteht aus zwei braunen Dreiecken. Über dem Dach wird die Figur wiederholt; hier jedoch losgelöst von ihrer Funktion: Die Dreiecke sind hellblau und werden von braunen Linien zusammengehalten. Die Fassade wird durch ein hellblaues Quadrat und einem braunen symmetrischen Trapez akzentuiert; die Fenster sind schwarze Rechtecke. Diese Formen erscheinen auf der rechten Bildhälfte wiederum ,nur‘ als reine geometrische Formen.

Fritz Griebel: Abstrakte Komposition mit Kreisen und Rechtecken, 1960er-Jahre, Aquarell, 36 x 27 cm

Das Aquarell Abstrakte Komposition mit Kreisen und Rechtecken ist besonders wegen seiner Maltechnik interessant: Die Durchbrechung der Binnenformen mit diversen Formen hat Griebel vom Scherenschnitt, den er sein Leben lang praktizieren sollte, übernommen. Die Binnenformen sind entweder als Leerstelle mit rosafarbenen Untergrund gemalt (Negativform) oder der Untergrund bzw. die Fläche der Form ist nur noch als Muster gefüllt (Positivform), wie bei dem blauen Kreis und rotem Blatt.

Fritz Griebel: Abstrakte Komposition, 1963, Aquarell, 21 x 32 cm

Das letzte Beispiel zeigt Griebels ausgeprägtes Verständnis und Gefühl im Umgang mit Farbe, Form und Kompostion. Es zeigt vorwiegend grüne, gelbe gemischtfarbige Rechtecke, die freihändig auf das gesamte Blatt gemalt wurden. Sie bilden quasi einen Rahmen für die blauen Rechtecke, die nur als Umrisse dargestellt sind. Das kleine rote Quadrat und der rote Umrisskreis lenken das Auge von den oberen gelben Rechtecken nach unten. Sie sind das Zentrum des Bildes. Gerahmt wird die Komposition von einem gemalten Rahmen, der die Farben der äußeren Rechtecke wiederholt.

Die ausgewählten Beispiele verdeutlichen Fritz Griebels unermesslichen Schöpfergeist. Formen und Farben werden scheinbar impulsiv auf der Fläche verteilt. Seine abstrakten bzw. abstrahierenden Bilder sind voller Leuchtkraft. Sie sind poetisch, verspielt und auch streng durchstrukturiert.