Heiliger Christopherus

Fritz Griebel: Heiliger Christopherus, 1937, Buntstiftzeichnung mit Aquarell, 48 x 32 cm

Fritz Griebel gehört zu jener Generation von Künstlern, deren Laufbahn durch zwei Weltkriege jäh unterbrochen wurde. In Anlehnung an Gertrude Steins und Hannah Arendts geprägten Begriff der „Lost Generation“ in der Literatur für amerikanische und französische Schriftsteller der 1920er-Jahre etablierte der Kunsthistoriker, Journalist und Sammler Rainer Zimmermann (1920–2009) den Terminus „Verschollene Generation“ für Künstlerinnen und Künstler aus dem deutschsprachigen Raum, die um die Jahrhundertwende geboren worden waren und ihre Studienzeit in die Nachkriegswirren und Not des Ersten Weltkrieges fiel. Waren bereits viele dieser Künstler während der Weimarer Republik durch Ausstellungen an die Öffentlichkeit getreten, wurden sie während des Nationalsozialismus mit Ausstellungsverbote schikaniert oder der Beschlagnahmung ihrer Werke in Museen während der propagandistischen Aktion „Entartete Kunst“.

Die Tragik dieser „verlorenen Generation“ liegt auch darin, dass sie nach 1945 nur schwer (wieder) öffentliche Anerkennung erhielt. Meist figurativ arbeitend konnten Künstlerinnen und Künstler auf dem westdeutschen Kunstmarkt, der nahezu abstrakte Kunst bevorzugte, nicht Fuss fassen.

Die kurze Zeitspanne von 1920 bis 1940 ist eine sehr kreative Phase für Fritz Griebel gewesen: Im Scherenschnitt, Zeichnung und Malerei entwickelt er seinen eigenen unverwechselbaren Stil und wird ein gefragter Porträtmaler. 1932 erhält er den renommierten Dürer-Preis.

Fritz Griebel wurde zusammen mit seinem ebenfalls sehr kunstbegabten Bruder Paul kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges in Nürnberg als Rekrut der Infanterie eingezogen; sein Bruder starb 1918. Dieser frühe Verlust prägte Griebels pazifistische Haltung. 1940 wurde er dann für fünf Jahre eingezogen. Er war in Boxtel (Niederlande), Bamberg und in Streitberg (Fränkische Schweiz) stationiert und musste für den Luftschutz und im Bautrupp arbeiten.

Während der Diktatur der Nationalsozialisten wurde 1940 eine bereits geplante Ausstellung abgesagt. Die Begründung lautete: “Das ist nicht die Kunst, die der Führer will”, so Griebel (BayHStA, MK 51447). Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Absage aus Griebels Verteidigung seines Künstlerkollegen Eitel Klein (1906–1990) resultiert: Klein hatte Ausstellungsverbot, das 1939 für die Ausstellung Die Schaffenden aus dem Kreise der Staatsschule für angewandte Kunst, die Werke ehemaliger Studenten der Kunstgewerbeschule zeigte, kurzfristig aufgehoben wurde: Griebel hatte sich mit den mächtigsten Kulturvertreten der Nationalsozialisten Nürnbergs , Emil Stahl, Leiter der Städtischen Kunstsammlungen und Hermann Gradl, Direktor der von Hitler zur Akademie der Bildenden Künste erhobenen Kunstgewerbeschule, für die Bilder Kleins eingesetzt. Ein nicht ungefährlicher Akt von Zivilcourage.

Eitel Klein schrieb in seinem Tagebuch: „Griebel (auch Winter) hat sich für mich eingesetzt gegen Gradl u Stahl. Es muss sehr heftig hergegangen sein. Dieses Einstehen freute mich sehr u ich bin Gr. dafür sehr dankbar, findet man doch so selten, selbst unter Freunden, dass sich einer für den anderen wirklich einsetzt auf die Gefahr hin, dass er selbst sich in die Nesseln hockt. […].“

Fritz Griebel selbst hielt sich und später seine Familie mit Zeichnungen, Scherenschnitten und kleinen Auftragsarbeiten über Wasser. 1937 reichte er einen Entwurf für die Ausgestaltung des Offizierskasinos der neuen Kaserne in Schweinfurt ein, den er ein Jahr später kommentarlos zurückbekam. Die Skizze zeigt den Heiligen Christopherus, zu dessen Füßen ein kleiner stilisierter Panzer steht mit vier schematisierten Soldaten davor.

Meister der Perle von Brabant (Dieric Bouts?): Der Heilige Christopherus (rechter Teil des Flügelalters Die Perle von Brabant.

Der Heilige Christopherus (griech. „Christusträger“) ist eine vermutlich historische Märtyrergestalt des 3. bzw. 4. Jahrhunderts aus Kleinasien. Er ist einer der Vierzehn Nothelfer und zählt zu den meist dargestellten Heiligen. Um sein Leben ranken sich verschiedene Legenden:

So knüpft die ostkirchliche Legende aus dem 8. Jahrhundert an die Legende des Märtyrers Bartholomäus an, der zusammen mit Andreas zu den Parthern gelagte, um sie zu missionieren. Ihnen stand ein Gehilfe zur Seite, ein mit gewaltigen Kräften ausgestatteter Kynokephale (Hundsköpfiger), der zunächst Reprobus (lat. „der Verfluchet“) hieß. Durch Taufe legte er sein tierisches Wesen ab, erhielt menschliche Züge und Sprache sowie den Namen Christianus. Sein Wanderstab bringt als Zeichen göttlicher Legitimierung grüne Blätter und Früchte hervor. Als Missionar zieht er nach Symos und Lykien, bis er das Martyrium durch Enthauptung erlitt.

In der westlichen Legendenversion, die Einzug in die Legenda Aurea hielt, taucht ein Riese namens Offerus auf, der nur dem mächtigsten Herrscher dienen wollte. Nachdem er König und Teufel diente, riet ihm ein Eremit, er solle seine Kräfte Gott zur Verfügung: Er trug fortan Pilger über einen Fluss. Einmal vertraute sich ihm ein Kind an, das er auf seine Schultern nahm. Als dessen Gewicht stetig zunimmt, gibt sich das Kind als Schöpfer und Herr der Welt zu erkennen. Offerus erhält den Namen Christopherus, wird getauft und sein Stab ergrünt zur Bestätigung. Er wird Missionar und stirbt den Märtyrertod.

Fritz Griebel zeichnete die Märtyrergestalt seitlich im Ausfallschritt. Beide Hände halten den mit Blättern begrünten Wanderstab fest umschlossen. Er trägt ein rotgelbliches hochgeschürtztes Gewand und einen hellblauem mit gelben Akzenten belebten Umhang, der vom Wind hoch gebauscht wird. Sein Kopf ist dem Betrachter zugewandt. Das lange blonde Haar ist nach hinten gelegt. Das Gesicht des Märtyrers wird von einem Vollbart etwas verdeckt. Sein Blick ist energisch und entschlossen. Auf seinen Schultern trägt er das nackte herrscherliche Jesuskind mit Reichsapfel und Kreuz sowie einer Krone.

Drückt die Gestalt des Heiligen Dynamik aus, wirken der hellgrüne und in Seitenansicht gezeichnete Panzer sowie die Soldaten statuarisch. Blockhaft mit offener Beinstellung, die Hände schlaff herunterhängend stehen die behelmten Soldaten da. Ihre Gesichter sind nicht zu erkennen. Sie symbolisieren die anonyme Masse, die an den Fronten kämpfen sollten.

Gilt Christopherus heute gemeinhin als Schutzpatron der Pilger und Reisenden, so ist er auch Patron gegen eines plötzlichen Todes. Auf vielen Aussenwänden von Kirchen wurden deshalb auch große Fresken mit seinem Bild versehen, denn der morgendliche Anblick seines Bildes sollte Schutz gegen einen jähen und unbußfertigen Tod bis zum Abend gewährleisten.

Besonders letzte symbolische Funktion scheint Griebel mit seinem Entwurf visualisieren gehabt zu wollen. Es ist verständlich, dass seine Skizze keine Umsetzung fand, ist sie doch nicht kriegspropagandistisch. Sie ist sogar als versteckte Kritik gegen die bevorstehende Kriegsmaschinerie zu deuten, bei der Millionen Menschen den Tod finden sollten.

Fritz Griebel: Ideenskizze in Verbindung mit einem Wachlokal, 1937, Buntstiftzeichnung mit Aquarell, 40 x 27 cm.

Auch ein weiterer Entwurf für ein Wachlokal der neuen Kaserne in Schweinfurt zeigt keine nationalsozialistische Heroisierungen, sondern ganz einfach auf einer Stange schlafende Hühner, die von einem etwas abseits stehenden Hahn bewacht werden. Das Bildthema ist amüsierend und ironisch zugleich: Griebel analogisiert das Soldatentum mit Geflügel. So wie das Federvieh nachts in den Stall kommt, werden die Soldaten im Wachlokal, einem Bereitschaftsraum mit Betten, vergattert. In Griebels Entwurf sind die schlafenden Hühner teilweise hinter Gitterstäben gesperrt. Sollte Gefahr drohen, wird der Hahn, d.h. der Wachvorgesetzte, krähen.

„Fritz Griebel war ein Humanist“, erinnerte sich der Maler und ehemaliger Schüler Fritz Griebels Rolf Fütterer in einem Interview 2011. Griebel wurde bekanntlich der erste Direktor der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg nach dem Zweiten Weltkrieg (1948–1966) und dort auch Professor für Malerei und freie Grafik (1946–1966). Als Begründung für die Erteilung zu seinem Lehrauftrag heisst es in einem Schreiben der Akademie vom 13.1.1948: „Die bekannten künstlerischen Fähigkeiten des Künstlers Griebel berechtigen zu der Hoffnung, dass er eine erfolgreiche Lehrtätigkeit an der Nürnberger Akademie ausüben würde.“ (BayHStA, MK 51448)

Diese Annahme sollte sich bestätigen. An seinem Freund Gustav Seitz schrieb er bereits 1944: „[…] Hoffentlich haben wir das Leben und können in absehbarer Zeit wieder richtig loslegen. Ich könnte gleich morgen anfangen.“

Antje Buchwald 2016

Literatur:

  • Werner Scheel (Hg.): Umbrüche. Maler einer verschollenen Generation. Reimer, Berlin 1998.
  • Birgit Rauschert: Die verhinderte Moderne. Nürnberger Künstler der „verschollenen Generation“. 2013 Dettelbach a.M. (Zitat Eitel Klein: Tagebuch, 01.–19.03.1939, Privatbesitz (sic); S. 47).
  • Gustav Seitz. Werke und Dokumente. Ausst.-Kat. München 1984 (Zitat: Fritz Griebel: Brief an Gustav Seitz, Streitberg, 28.04.1944, S. 56).
  • F. Werner: Christopherus. In: LCI. Lexikon der christlichen Ikonographie. Rom u.a., Bd. 5, S. 496–508.
  • Rainer Zimmermann: Die Kunst der verschollenen Generation. Deutsche Malerei des expressiven Realismus von 1925–1975. Düsseldorf u. a. 1980, (überarbeitete Neuausgabe: Expressiver Realismus. Malerei der verschollenen Generation. München 1994.).