Frühling

Fritz Griebel: Frühling, 1925, Radierung, 26 x 34 cm, FG 0913

Ein Gewirr von Linien – dicken, dünnen, geraden und verschlungen – sind auf der Bildfläche verteilt. Langsam schält sich der Gegenstand aus dem Schwarz-Weiß-Kontrast heraus. Im Vordergrund sind Bäume zu erkennen, deren Äste sich fast auf der gesamten Bildfläche mäanderartig verteilen. Erste Blätter und Blüten künden den Frühling an.

Im Kontrast zu der aus dem Winterschlaf erwachenden Natur steht der Lattenzaun mit seinen senkrechten und waagerechten Brettern. Eine Häuserfront mit Fenstern hinter den Bäumen ist nur angedeutet.

Die Radierung entstand während Griebels Berliner Studienzeit an der Hochschule für Bildende Künste ab 1922. Er wurde bald in die Malklasse des Malers und Radierers Hans Meid (1883–1957) aufgenommen und später sein Meisterschüler. Während seiner Berliner Zeit begann er mit der Ölmalerei und wandte sich der Neuen Sachlichkeit zu. 1927 ließ er sich als freischaffender Künstler in Heroldsberg bei Nürnberg nieder.

Das Bild war 1927 auf der Graphischen Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes vertreten. Gegründet 1903 in Weimar auf Initiative des Sammlers und Kunstförderers Harry Graf Kessler (1868–1937) und unter Mitwirkung des Architekten Henry van de Velde (1863–1957), den Museumsdirektor Alfred Lichtwark (1952–1914) und unter anderen den Malern Max Liebermann (1947–1935) und Max Slevogt (1868–1932) wollte der Deutsche Künstlerbund zeitgenössischen modernen Künstlern ein Forum geben gegen die traditionelle Akademiemalerei, wie zum Beispiel der Historienmalerei.

Kessler, veranlasst durch die ablehnende Haltung des Kaisers gegenüber moderner Kunst, den staatlich gelenkten Kunstbetrieb sowie den Lehrbetrieb an der Akademie, sah es als notwendig an, mithilfe einer unabhängigen Künstlervereinigung Künstlern ihre künstlerische Freiheit zu verschaffen und vor allem zu sichern. Dies sollte durch von den Mitgliedern selbst organisierten jährlichen Ausstellungen umgesetzt werden, auf den sie ihre Werke selbst verkaufen konnten. In einer Programmschritt wurde weiterhin unter anderem die Offenheit gegenüber unterschiedlichen Stilrichtungen sowie besonders die Förderung junger Künstler propagiert. Bis zu seiner Zwangsschließung 1936 durch die Gestapo war der deutsche Künstlerbund die wichtigste Institution im deutschen Kunstbetrieb. 1950 wurde er neu gegründet.

Die Graphische Ausstellung 1927 in Dresden war die erste nach dem Ersten Weltkrieg. In seinem Vorwort im Katalog stellt der Maler und Graphiker Adolf Schinnerer (1876–1949) fest, dass die Kunst in den letzten zwanzig Jahren ihre Grenzen beständig erweitert hätte und die damals propagierte »Freiheit der Kunst« sei heute obsolet geworden. Der Deutsche Künstlerbund hätte heute vielmehr eine andere Aufgabe:

»zu verhüten, daß eine neue Art von Unsachlichkeit, daß Partei und Dogmenwesen den Sinn der Kunst fälsche. Es besteht die Gefahr, daß das Parteiprogramm an die Stelle des Bekenntnisses tritt, das allein Kunst hervorbringt. Wir haben die Aufgabe, die originale Leistung von Nachahmung, das Müssen vom Machen zu unterscheiden, damit nicht Gesinnungstüchtigkeit an die Stelle der Leistung trete, und Wege verschüttet werden, auf denen eine neue Generation marschieren will.«

Laut Ausstellungsleitung ergab sich das Ausstellungskonzept durch die »Einfügung in den Rahmen der Jahresschau Deutscher Arbeit, die alles vorführen soll, was auf Herstellung und Verwendung des Papiers Bezug hat.« Gezeigt wurden ausschließlich druckgrafische Arbeiten, weil die Handzeichnung nur Entwurf und Vorbereitung sei, auch wurden keine Aquarelle gezeigt, weil bei ihm der Malgrund nicht ausschlaggebend sei. Zur Auflockerung und der Tradition folgend waren einige kleinplastische Werke zu sehen.

»In jeder Weise hat die Jahresschau Deutscher Arbeit diesen Plan gefördert. Sie hat sich den Gedanken zu eigen gemacht, die Auswahl des Besten zu zeigen, das von zeitgenössischen Künstlern an Druckgraphik geschaffen wird. So erscheint hier das Papier als Träger einer Kunst neben allen anderen gewerblichen und kunstgewerblichen Verwendungsmöglichkeiten.«

In der Ausstellungsjury waren unter anderem Max Beckmann (1884–1950), Otto Dix (1891–1969), Oskar Kokoschka (1886–1980), Georg Kolbe (1977–1947), Käthe Kollwitz (1867–1945), Bernhard Pankok (1872–1943) und Max Slevogt vertreten.

Griebels Bild destilliert die Natur. Ist der Gegenstand zwar noch erkennbar, betont es das Wachsen und Sprießen der Natur. Dies drückt sich in einer ›organischen‹ Linie aus, die auf dieses Wesentliche hindeutet. Die Farbenpracht, die im Frühling einsetzt, sucht man in der Radierung vergeblich. Sie kann im Kopf des Betrachters ergänzt werden – muss es aber nicht.

 

Antje Buchwald 2017

 

Literatur:

  • Graphische Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes Dresden 1927, veranstaltet im Rahmen der Jahresschau Deutscher Arbeit. Ausst.-Kat. Dresden 1927, Zitate S. 4, 5.
  • Myriam Maiser: Der Streit um die Moderne im Deutschen Künstlerbund unter dem ersten Vorsitzenden Karl Hofer. Eine Analyse der Ausstellungen von 1951 bis 1955. Berlin 2007, S. 18f.