Mann und Mond

Fritz Griebel: Mann und Mond. 1935, Rötel/Papier, 46 x 58 cmMondnacht

Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt’.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis’ die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

Joseph von Eichendorf, um 1835

Ein Mann, der dem Betrachter den Rücken zugekehrt hat, steht auf einem Dorfplatz mit Häusern und einigen Bäumen. Er versucht nach dem Mond zu greifen. Die Rückenfigur trägt einen Hut, eine locker sitzende Jacke und Hosen. Die Schuhe führte Fritz Griebel nicht weiter aus, sie bleiben Andeutungen. Die einfache Kleidung charakterisiert den Mann als Knecht. Die Beine sind leicht durchgedrückt und auseinander gestellt, was der Figur etwas Linkisches verleiht. Sie wirkt, als ob sie schlafwandelt oder vom Mond magnetisch angezogen wird.

Der Mond ist das Pendant zur Sonne. Er begleitet die Menschen durch die Nacht, die Sphäre des Schlafes und Traumes. Der Himmelskörper erleuchtet den Nachthimmel und taucht die in Dunkelheit gehüllte Erde in weiches Licht, welches die Umrisse der nächtlichen Landschaft mildert oder sie wie der Nebel verschwimmen lässt. Gestalt und Leuchtkraft des Mondes sind seinem zyklischen Wandel unterworfen. Der Mond kann dem Menschen auch als Zeitmesser dienen, wird doch der Begriff Mond häufig synonym mit Monat verwendet. Legendenbildend hat sich sein Einfluss auf irdische Vorgänge in der Natur und auf das Leben des Menschen ausgewirkt, der sich nachdrücklich am Lauf der Gezeiten offenbart.

Der Mond bzw. die Nacht ist darüber hinaus ein beliebtes Motiv in der deutschen Romantik gewesen. Im Zentrum der europäischen Romantik steht das Ich und seine Gefühle als Antwort auf Rationalismus, Industrialisierung und die Napoelonischen Kriege. Für den Romantiker geht ein Riss durch die Welt, der sie in die Welt der Vernunft und der Welt des Gefühls und Wunderbaren geteilt habe. Anliegen der Romantiker ist die Heilung des Bruches durch die Zusammenführung der Gegensätze zu einem harmonischen Ganzen bzw. zum Gesamtkunstwerk.

In Eichendorfs Gedicht, das prototypisch für die Romantik steht, verschmelzen in der ersten Strophe Himmel und Erde zu einer Einheit. Die Vereinigung von scheinbar Unvereinbarem – Oben und Unten – ist möglich. Wie bei Eichendorf schildert Griebel eine nächtliche Vision einer Landschaft, die vom Mondschein erhellt wird. Dies geschieht allerdings ähnlich der Naturlyrik Eichendorfs nur im Kopf des Betrachters.

Beschreibt Eichendorf in der im Indikativ verfassten zweiten Strophe ein realistisches und irdisches Bild einer nächtlichen Landschaft, wird diese Naturwahrnehmung in der nächsten Strophe zu einer Traumvorstellung: Der Wind streicht sanft durch das Korn, welches wie die Bäume in Bewegung gerät. Die Sterne erhellen die Nacht, so dass der Beobachter dies alles sehen und hören kann, bis in der letzten Strophe die Seele des Ichs sich erhebt und davon fliegt. Sie fliegt nach Hause, sehnt sich nach Heimkehr und Erlösung.

In Griebels Zeichnung ist der Mann derart vom Mond angezogen, dass er wie in einem Traum überlebensgroß ist und die vor ihm stehenden Häusern überragt. Es scheint, als müsse er sich nur kräftig strecken, um den Mond zu berühren. Der Mond, ein romantisches Symbol für Sehnsucht, erscheint als Sichel des zunehmendes Mondes. Er symbolisiert die Verbindung zum Kosmos, das Einssein mit Himmel und Erde.

Caspar David Friedrich: Zwei Männer in Betrachtung des Mondes. Um 1819/20
Öl / Leinwand, 35 x 44,5 cm Gal. Nr. 2194 Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlung Dresden

Der frühromantische Maler Caspar David Friedrich (1774–1840) malte die Inkunabel der deutschen Romantik. Sein Bild Zwei Männer in Betrachtung des Mondes zeigt zwei Männer in altdeutscher Tracht in inniger Betrachtung der Sichel des zunehmenden Mondes und des Abendsternes auf einem Bergpfad; gerahmt wird die nächtliche Szene von einer Fichte und einer alten Eiche.

Im Vergleich mit Fritz Griebels Zeichnung vermittelt Friedrichs Bild eine kontemplative Stimmung. Seine Rückenfiguren agieren nicht, sie sind in melancholischer Stimmung versunken bei der Betrachtung der Mondsichel, die dieselbe Mondphase zeigt, welche Griebel zeichnete. Friedrichs Bild, welche in der kunsthistorischen Literatur unterschiedliche Deutungen hat, ist in seiner melancholischen Grundstimmung Inbegriff romantischer Naturbetrachtung. Der zunehmende Mond ist für Helmut Börsch-Supan Symbol für Christus. Für Reinhard Wegner ist der Mond Symbol der sich wandelnden Zeit und der sich unendlich wandelnden Natur, bei Friedrich hier besonders ein Zeichen des Trostes und allgemein Symbol für eine unerreichbare romantische Sehnsucht.

Pieter Bruegel der Ältere: Die niederländischen Sprichwörter, 1559, Öl/Eichenholz, 117 x 163 cm, Gemäldegalerie, Berlin

Die Erfüllung einer Sehnsucht, vielleicht auch die nach dem Tod, ist in Griebels Bild durch die Rückenfigur angelegt. Ihre lang gestreckten Arme, deren Hände nichts zu fassen bekommen sowie der fast schon nach vorne zu kippende Oberkörper drücken Faszination, Begehren und Melancholie gleichermaßen aus. Das Motiv der Rückenfigur, das erst mit Friedrich zu einem zentralen Thema in der Landschaftsmalerei wird, fungiert als Stellvertreter des Betrachters.

Detail aus “Die niederländischen Sprichwörter” (Pieter Bruegel der Ältere)

Eine weitere Lesart der Zeichnung ist mit dem Bild Die niederländischen Sprichwörter von Pieter Bruegel des Älteren (um 1525/30–1569) gegeben. Es zeigt über 100 niederländische Sinnsprüche und Redewendungen, die zum Teil bis heute auch in Deutschland gebräuchlich sind.

Breugel schildert vordergründig das dörfliche Alltagsleben an einer Meeresküste. Exponiert im Bildmittelpunkt sitzt der Teufel unter einem blauen Baldachin. Er ist der Regent des bunten Treibens. Der niederländische Maler visualisierte die Vorstellung seiner Zeit, wonach die Welt sündhaft, böse und närrisch sei.

Detail aus “Die zwölf Sprichwörter” (Pieter Bruegel der Ältere)

Links über den Baldachin steht ein Mann im Dachfenster und hält die Fahne mit einer Mondsichel auf rotem Grund fest und uriniert auf diese. Das Sprichwort, das Breugel hier umsetzte lautet: „Er pisst gegen den Mond.“ Es bedeutet so viel wie, sich anstrengen, um etwas Unmögliches zu erreichen. In Deutschland ist die Redewendung „nach dem Mond greifen“ geläufig.

Verbindendes Glied beider Interpretationen ist die Unmöglichkeit eines Wunsches. Der unerreichbare Mond, der bei Griebel doch zum Greifen nahe scheint, wird zur Projektionsfläche ungestillter Sehnsüchte, Begierden und Wünsche.

Antje Buchwald 2015

Literatur:

  • Helmut Börsch-Supan, Karl Wilhelm Jähnig: Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen. München 1973.
  • Rose Marie und Rainer Hagen: Pieter Bruegel d. Ä. um 1525 — 1569. Bauern, Narren und Dämonen. Köln 1999.
  • Kaspar Heinrich Spinner: Der Mond in der deutschen Dichtung von der Aufklärung bis zur Spätromantik. Bonn 1969.
  • Reinhard Wegner: Kunst – die andere Natur (Ästhetik Um 1800). Göttingen 2004.