Stillleben mit Votivgaben

Fritz Griebel: Stillleben mit Votivgaben, 1939, Rötel auf Papier, 63 x 48 cm.

An einer Wand hängen in zwei Reihen untereinander Fragmente von Gliedmaßen: Arme, Hände, Unterschenkel, ein kleiner Kopf. Deutlich zeichnen sich ihre Schlagschatten ab. Ein herzförmiger Gegenstand hebt sich mit seiner blutroten Farbe von den braunen Gliedmaßen ab. Das Christusmonogramm »IHS« kennzeichnet diesen Gegenstand als ein Herz-Jesu-Votiv.

Votivgaben sind Gegenstände eines Gelöbnisses (»ex voto«), die als Dank- oder Bittzeichen auf Altären oder auch vor Heiligen aufgestellt werden. Häufig werden sie bereits beim Vorbringen der Bitte um Hilfe in einer bestimmten Angelegenheit gespendet. Votivgaben, d.h. Weihegeschenke, können wie in der Zeichnung Fritz Griebels plastisch ausgeführt werden (Gebildvotive) oder gemalt sein (Votivbilder). Sie dienen immer als Dank für Schutz gegen Krankheit und Unheil.

Opferfiguren sind auf uralte Traditionen zurückzuführen. So sind viele der steinzeitlichen Schnitzereien aus Mammutelfenbein oder Geweihstücke wahrscheinlich Weihegaben an Naturgottheiten. Sie brachten die primären Anliegen des Steinzeitmenschen – Fruchtbarkeit und Jagdglück –, zum Ausdruck. Später dann, vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert, war eine Vielzahl differenzierter Gebildvotive in Gebrauch. Sie bestehen aus unterschiedlichen Materialien, wie beispielsweise aus Eisen, Wachs, Holz, Bein, Silberblech oder sogar aus Brotteig (nicht erhalten).

Besonders silberne Votivgaben erfreuten sich großer Beliebtheit. Wallfahrtskirchen verfügen oft über große Sammlungen von Votivgaben. Ausführung und Form hängt von der erbetenen Wohltat ab. So weisen viele Motive auf Leiden und Schmerzen hin, wie Köpfe, Arme und Beine.

Votivgaben, St. Johann, Gnadenkapelle, Müstar.

Die Votivgaben, die Fritz Griebel zeichnerisch festhielt, befanden sich im Benediktinerkloster Michelsberg in Bamberg, wohin er 1939 übersiedelte. Es verwundert nicht, dass er seine neue Umgebung erkundete. Griebel, Sohn eines evangelischen Pfarrers, war sehr gläubig. An seine Affinität zu Kirchen kann sich heute noch sein Sohn Peter lebhaft erinnern, steuerte doch sein Vater – sehr zu seinem Leidwesen –, sogar im Urlaub dort Kirchen und Museen an.

Doch reizte den Künstler Griebel das Religiöse an diesem Motiv? Es ist höchstwahrscheinlich das Fragmentarische, Teile eines einstmals Ganzen, das von jeher Künstler inspiriert. Im kunsthistorischen Kontext wird der Fragmentbegriff vornehmlich im Zusammenhang von Architektur und Skulptur benutzt, eine Ausnahme bleibt seine Reflexion in der Malerei. Erst im 20. Jahrhundert wird er in der kunstwissenschaftlichen Forschung stärker rezipiert, z.B. in surrealistischen Text-, Bild- und Filmmontagen.

Adolph Menzel: Atelierwand, 1852, Öl/Papier/Holz, 61 x 44 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie.

In Adolph Menzels (1815-1905) Werk sind eine Reihe Bilder erhalten, welche Körperfragmente zeigen. Für unseren Kontext ist das Stillleben der Atelierwand des Künstlers besonders aufschlussreich. An einer Wand hängen zwei gipserne muskulöse Arme; der linke hält wohl eine nach unten gerichtete Fackel, der rechte angewinkelte deutet auf den linken Arm. In der Mitte hängt ein anatomisches Handmodell. Auf einem Bord links neben der Hand befindet sich ein menschlicher Schädel. Unter dem Anatomiemodell ist eine angeschnittene Malerpalette zu entdecken, auf die alle drei Hände verweisen. In diesem Stillleben sind demnach biologische Fragmente neben künstlerisch transformierten in Gestalt von Gipsabgüssen arrangiert.

Könnte es sich bei Menzels Atelierwand nach Sabine Heiser um ein verstecktes Selbstporträt handeln – worauf die häufigen Bilder hinweisen, in denen sich Menzel selbst im Ausschnitt als Fragmente seiner selbst (z.B. Der Fuß des Künstlers, 1876) darstellte – so verweisen die Fragmente in Griebels Zeichnung auf eine andere symbolische Zuordnung. Sie sind persönliche Stellvertreter für Leid oder Dank für eine geheilte Krankheit. Die Votivgaben sind Zeugnisse der Volkskunst, die Gipsabgüsse und das Anatomiemodell sind Utensilien klassischer Künstlerausbildung gewesen. Griebel entkontextualiserte die Votivgaben, schließlich deutete er keine Architektur an. Die Votivgaben erscheinen als reine Gegenstände. Es sind Artefakte, objets trouvés (gefundene Gegenstände). Besonders ihre Fragmenthaftigkeit macht Griebel hier ästhetisch erfahrbar, die auf der Metaebene menschliches Leid und Freude symbolisieren. So könnte man dieses Stillleben als Porträt des Lebens begreifen.

Antje Buchwald