Studie mit Wolldecke

Fritz Griebel: Studie mit Wolldeck. um 1940, Rötel/Papier, 64 x 48 cm.

Der Faltenwurf bzw. Gewandung oder Draperie bezeichnet in der bildenden Kunst die Anordnung der Gewänder, welche den menschlichen Körper umhüllen. Er gehört mit zu den schwierigsten Disziplinen in der Kunst. Nicht selten wurde ein Künstler früherer Epochen darin beurteilt, wie gut er Stoffe und Faltenwürfen an Gewändern, Vorhängen oder Tischdecken darstellen konnte.

Die Wiedergabe von Falten war in der bildenden Kunst typologischen Veränderungen unterworfen. Jedoch sind Abwandlungen einzelner Meister oder Werkstätten zu beobachten. Daher kann die Untersuchung der Faltenbehandlung für die Zuschreibung und Datierung von Werken der Kunst Aufschluss geben. Besonders gilt dies für Perioden der Kunstgeschichte, in denen nicht die Naturbeobachtung, sondern die Bindung an einen traditionellen Formenkanon im Vordergrund stand. Gleichzeitig war gerade in diesen Epochen das Faltenmotiv und ganze Faltensysteme mehr als eine gegenständliche Wiedergabe. Sie waren Träger einer geistigen Aussage der Zeit, des Stils.

Menelaos: Gruppe des Menelaos (sog. Orestes und Elektra ), 2. Hälfte 1. Jh. n. Chr. (Inv.-Nr. 8604), National Museum, Rom. Foto: © Marie-Lan Nguyen/Wikimedia Commons

Die Darstellung des Faltenwurfs ist gattungsübergreifend. In der griechisch-römischen Bildhauerei ist z. B. ein Wechselspiel zwischen nacktem Körper und Gewand zu beobachten. Sehr schwierig ist es in der Bildhauerei, einzelne Stoffe und Stoffarten oder Leder darzustellen. Die Gruppe des Menelaos besteht aus einem mit einem Mantel bekleideten halbwüchsigen Jüngling und einer reich gewandeten Frauengestalt. Sie trägt einen Chiton, ein Unterkleid aus dünnerem Stoff, mit Himation (Mantel). Während das Himation fast glatt vom Körper fällt, bildet der Chiton viele Parallelfalten aus. Das Himation des Jünglings hingegen ist unterhalb des Bauches zu einem Wulst mit vielen kleinen Falten drapiert.

Um die Falten möglichst kunstvoll zu drapieren, gab es verschiedene Möglichkeiten: In der Antike erfolgte die Modelldraperie oft an einem lebenden Modell, das sich z.B. mit der überworfenen Toga bewegte. Leben und Bewegung sollte so möglichst anschaulich wiedergegeben werden. Eine andere Option war die Verwendung einer mit Gewändern drapierten Gliederpuppe seit der Neuzeit in Malerei und Zeichnung. Beliebt war in klassischer Zeit ferner die Methode der Wassergewänder, bei der nasse Gewänder sich an den Körper des lebenden Models anschmiegten.

Stefan Lochner: Madonna im Rosenhang, um 1448, Farbe/Holz, 51 x 40 cm, Wallraf-Richartz-Museum (© The Yorck Project /Wikimedia Commons)

Besonders im Mittelalter erfuhr die Falte ihre vielfältigste Ausprägung als systematisierbare Formel. Dies hängt vor allem mit der Bedeutung des Gewandes zusammen, bis hin zur sogenannten Gewandheiligung. In Stefan Lochners (1400–1451) Madonna im Rosenhang sitzt Maria in einem leuchtend blauen Mantel gehüllt vor einer Rasenbank. Ihr Mantel schlägt am Boden Faltenbündel, welche aus dem ruhigen und glatten Malstil herausbrechen. Zwei Engel hinter Maria raffen einen schweren Brokatvorhang zur Seite und geben den Blick frei auf den goldenen Himmel mit Gottvater und der Taube des Heiligen Geistes.

Hyacinthe Rigaud: Louis XIV.,1701, Öl/Lwd., 277 x 194 cm, Louvre (© Wikimedia Commons)

Der Faltenwurf war aber auch ein Zeichen von Wohlstand und Macht. Besonders Repräsentanten höfischer Macht konnten sich mit vielen und teuren Stoffen einkleiden und umgeben. Prominentes Beispiel ist das Herrscherporträt Ludwig XVI. von Hyacinthe Rigaud (1659–1743), in dem es von edlen Stoffen, wie Seide und Brokat, wimmelt. Der König steht im Ausfallschritt vor einer Marmorsäule, deren Schafft von einer purpurnen Draperie verdeckt wird, die den Thron in Form eines Baldachins bekrönt. Der überlebensgroße König erscheint im Krönungsornat mit Allongeperücke. Der dunkelblaue liliengemusterte Hermelinmantel ist kunstvoll um die Schulter des Herrschers drapiert, der seine linke Hand in die Hüfte gestemmt hat, und fällt in langen Parallelfalten nach hinten weg. Pointiert stellte Gilles Deleuze fest: „Die ins Unendliche gehende Falte ist das Charakteristikum des Barock.“

Fritz Griebel zeichnete Jahrhunderte später eine gewöhnliche Wolldecke. Sicherlich war sie als Studie gedacht, aber sie funktioniert heute ebenso gut als eigenständiges Werk. Griebel zeichnete den Faltenwurf der Decke in Aufsicht. Er füllt das Blatt fast aus, am oberen und rechten Bildrand ist er beschnitten. Die Decke hat an den beiden kurzen Seiten kleine Fransen, die nun teilweise aneinander liegen, da die eine Seite der Decke zurückgeschlagen wurde.

Die einzelnen Falten bzw. Formen sind fest begrenzt. Sie verfließen nicht. Die Brüche, d.h. die Stellen, wo die erhabenen Massen sich begrenzend um die Vertiefung legen, sind durch Schatten- und Lichtmassen moduliert. Während die linke Seite der Decke Faltenkaskaden aufweist, ist die gegenüberliegende Seite fast ruhig und zeigt nur einige kleine und größere Parallelfalten. Die Decke, welche dem Menschen Wärme spenden soll, wird bei Griebel zu einem Kunstobjekt. Er abstrahiert den Gegenstand und schuf mit harmonischen Linien, klare, in sich zusammenhängende Formen, die das Objekt bestimmen.

Die Falte schafft komplexe Räume und Perspektiven. Dies erkannten bereits Vertreter des Kubismus und Konstruktivismus, in denen Faltungen und Zersplitterungen die Tradition der Zentralperspektive sprengten. Die Frage nach dem Verhältnis von Fläche und Raum ist bestimmend für die abstrakte Kunst geworden. Der Faltenwurf, der in der älteren Kunstgeschichte mit meisterhaftem Können und symbolhaften Implikationen konnotiert wurde, wird seit dem 20. Jahrhundert auf sein Maßverhältnis und Proportionen befragt. Die Studie mit Wolldecke von Fritz Griebel legt hiervon Zeugnis ab.

Antje Buchwald 2015

Literatur:

  • Gilles Deleuze: Die Falte. Leibnitz und der Barock. Frankfurt/M. 2000, Zitat S. 11.
  • Amely Deiss u.a. (Hg.): Einknicken oder Kante zeigen? Die Kunst der Faltung. Ausst.-Kat. Museum für Konkrete Kunst. Heidelberg 2014.