Die griechische Prunkvase

Fritz Griebel: Die griechische Prunkvase. 1936, Öl/Leinwand, 80 x 65 cm.

In den 1930er-Jahren lässt sich eine surreale Phase im Oeuvre Fritz Griebels beobachten. Die Antike – besonders Erzeugnisse der Kleinkunst –, dient ihm hier als Folie für eine heiter-beschwingte Welt. Kräftige Farben bestimmen denn auch die Farbpalette des Künstlers.

Im Vordergrund dieses Werk des Monats sehen wir ein großes bauchiges Gefäß mit einem Henkel und einem Deckel. Vorbild des Gefäßes war eine Spitzamphora, die Griebel phantasievoll umgestaltete. Er betonte den derart spitz zulaufenden Fuß, so dass das antike Vorratsgefäß droht zu kippen und ließ den traditionellen Doppelhenkel weg.

Im Hintergrund sehen wir ein weiteres Gefäß, welches zu schweben scheint und einen Schlagschatten an die Wand wirft. Es lässt sich keinem Vorbild zuordnen und dürfte ein Phantasiegefäß sein.
Auf dem Bauch der Amphora spaziert ein Flötenspieler bzw. Aulosbläser, gefolgt von einem Pferd, das etwas ungelenk auf den Beinen ist. Beide projizieren Schlagschatten an die Wand. Das Motiv des (Doppel-)Aulosbläsers findet sich sehr häufig in der Vasenmalerei. Der Aulos (griech. Röhre) ist ein zu den Blasinstrumenten zählendes Rohrblattinstrument der Antike. Der Legende nach wurde er von Athene erfunden, um den Klagegesang der Gorgonen zu imitieren. Als sie bemerkte, dass sich ihre Gesichtszüge während des Hineinblasens hässlich entstellten, warf sie das Instrument fort.

Geometrische Pyxis mit vier stehenden Pferden auf dem Deckel, 760–750 v. Chr., Terrakotta, Athen, H. 24,3 cm. British Museum, GR 1910.11-21.1.
Aulos-Spieler, ca. 480 v. Chr., aus der Nekropole Gaggaera bei Selinunt/Sizilien. Museo Archeologico Regionale Antonio Salinas, Palermo.

Vor der Amphora steht ein weiteres Pferd. Die Stellung der Beine vermittelt den Eindruck, als ob es gerade aus dem Lauf zum Stehen gekommen ist. Auch dieses Pferd wirft starke Schatten auf das Gefäß und den Boden.

Zwar sind Beispiele aus der Gebrauchskeramik bekannt, die Pferde als Form eines Knaufs zeigen, so handelt es sich bei den Pferden in Fritz Griebels Bild wohl eher um Weihegeschenke, wie sie zu Hunderten z. B. im Heiligtum von Olympia gefunden worden sind.

Schauen wir uns nun die letzte Figur auf dem Bild an. Es handelt sich um ein weibliches Psi-Idol aus mykenischer Zeit. Charakteristisch für diese einfach geformten und bemalten Figürchen sind ein fußlanges, gegürtetes und am Oberkörper faltenreiches Gewand, eine Art Krone und bestimmte Armhaltungen. Diese Typen sind heute unter den Bezeichnungen der griechischen Buchstaben Phi und Psi bekannt, denen sie in ihrer Form auffallend ähneln. Der Psi-Typus zeigt mit den beiderseits erhobenen Armen eine kultische Geste, die als Erscheinungs-Gestus (Epiphanie) bei Götterbildern bereits ab dem frühen 2. Jahrtausend v. Chr. bezeugt ist.

Weibliches Psi-Idol, mykenisch, 13. Jh. v. Chr., Terrakotta, Bemalung rotbraun, H. 11,4 cm, B. 5,8 cm. Kunsthistorisches Museum Wien, Inv.-Nr. ANSA_V_3254.

Das Idol, welches einen roten, am Bildrand beschnittenen Schlagschatten wirft und das kleine, schwebende Gefäß sind in orange-ocker gemalt. Die Farbgebung erinnert an Terrakotta. Alle andere Bildgegenstände sind in den Farbstufen Rot, Pink und Hellrosa gehalten.

Griebel verlegte die antikisierende Szene in einen nicht exakten Perspektivraum aus sandfarbenen Wänden und einem blutroten Kachelboden.
Mutet die Szenerie bis hierin bereits geheimnisvoll an, so werfen die vom Himmel (?) fallenden Rosen noch mehr Fragen auf, als dass sie zu einer möglichen Klärung beitragen.

Fritz Griebel schuf mit diesem Bild eine surreale Komposition. Ähnlich wie Giorgio de Chirico (1880–1978) ist in seinem Bild der Mensch abwesend. Dinge des Alltäglichen, wie Gummihandschuhe, Schneiderpuppen oder antike Skulpturen werden in die Leere des Raumes gestellt. Vermitteln die Bilder des Italieners eine bedrohliche Atmosphäre, ist Griebels Bild von kindlich-heiterer Phantasie bestimmt.

Griebel verleiht den Dingen eine zweite Wirklichkeit. Sie sind nicht länger in Vitrinen des Museums gefangen. Fast scheint es so, als ob zumindest der Flötenspieler und das Pferdchen aus der Amphora, deren Deckel abgehoben ist, entspringen würden. Griebel entbindet die Dinge von ihrer ehemaligen Funktion und kontextualisiert sie neu. Er sucht die Poetik im Alltäglichen.

Antje Buchwald 2013