Sommertraum

Fritz Griebel: Sommertraum, 1935/1946, Öl/Leinwand, 80 x 100 cm.

Im Zentrum des Bildes erstreckt sich ein großer Blumenstrauß auf einer Wiese. Links neben dem Strauß sind drei nackte tanzende Menschen zu sehen. Sie werden von einem Getreidehalm, der separiert vom Blumenstrauß ist, bekrönt. Rechts neben dem Strauß sieht man eine Frau in einem blauen Kleid in Begleitung eines Lammes. Vor dem Blumenstrauß liegt eine Frau in einem weißen Kleid; neben ihr eine Gruppe von Erntehelfern, ein Mann und zwei Frauen, Sichel und Rechen in den Händen haltend. Im Hintergrund eröffnet sich eine Berglandschaft.

Der kolossale Blumenstrauß lässt diverse Blumensorten erkennen, wie z.B. Margeriten, Nelken, Glockenblumen oder Fingerkraut. In dem Strauß wurden zudem Gerstenhalme mit eingebunden. Es handelt sich somit um einen Sommerblumenstrauß. Betont wird der übernatürlich große Blumenstrauß von Wolkenschleier und Schmetterlingen wie Kohlweißling und Zitronenfalter, die um den Strauß herumfliegen.

Schauen wir uns nun die Figurengruppen und Einzelfiguren genauer an. Die orangefarbene Tanzgruppe scheint eine Antwort auf das Bild „Der Tanz“ („La Danse“) von Henri Matisse (1869-1954) aus dem Jahr 1909 bis 1910 zu sein (Abbildung hier). Matisse schuf das bekannte Bild für den russischen Sammler Sergej Schtuschukin (1854-1936) als Gegenstück für das Gemälde „Die Musik“ für das Treppenhaus seines palastähnlichen Domizils in Moskau. Mit dem „Tanz“ wollte Matisse ein Gefühl von Leichtigkeit vermitteln. Die monumentalen weiblichen Akte sind Reminiszenzen an Volkstänze in Collioure. Reduziert auf drei Farben – Blau, Grün und im Kontrast dazu Zinnoberrot –, vermittelt das Bild in seinem simplen Aufbau die Quintessenz des Tanzes: den Ausdruck des Lebens selbst.

Fritz Griebel lässt in seinem Bild drei Figuren auftreten, die im Gegensatz zum übrigen Figurenpersonal durch den gekrümmten Getreidehalmen akzentuiert werden. Während zwei Figuren im Ausfallschritt seitlich dargestellt sind, zeigte Griebel die dritte als Rückenakt mit seitlich erhobenen Armen und den Rücken leicht nach hinten gedehnt. Sie vermittelt den Eindruck höchster Vitalität, sie öffnet sich buchstäblich dem Leben. Die drei Figuren der Tanzgruppe zeichnen sich im Vergleich zu den anderen Figuren durch ihre Bewegtheit und Nacktheit aus.

Die liegende weibliche Figur in ihrem weißem Kleid stützt ihre Arme auf der Wiese ab, sodass sich der Umriss ihres Körpers zeigt. Ihre Haltung lässt an eine Quellnymphe denken, die sich jedoch meist auf ihren rechten Arm stützt und einen Wasserkrug als Attribut bei sich hat. Vielleicht wollte Fritz Griebel mit dieser Figur an eine Wiesennymphe (Leimoniade) erinnern oder an die liegende Venus.

Die Gruppe der Erntehelfer oder Bauern sind das einzig irdische Personal in Griebels Bild. Sie scheinen sich von der Feldarbeit auf diese Wiese, diesem Idyll, zurückgezogen zu haben. Obwohl es Griebel vermied, den Figuren Gesichtszüge zu geben, scheinen der Bauer und die Frau im roten Rock auf die Liegende zu schauen. Der Strohhut der Rückenfigur sowie die Röcke der Frauen bilden zudem einen Farbkontrast zur Wiese und Berge und stellen einen Bezug zu den Blüten des Blumenstraußes dar.

Etwas abseits von dieser Gruppe steht eine Frau in einem blauen Kleid, ein Lamm läuft auf sie zu. Sehr häufig wird das Gewand der Mutter Gottes, Maria, blau dargestellt. Das Lamm kann somit auch als „Lamm Gottes“ interpretiert werden, als Sinnbild für Leiden, Tod und Sieg Christi.

Fassen wir nun unsere Beobachtungen zusammen: Fritz Griebel schuf ein Stillleben mit Menschen. Die Figuren und Gruppen symbolisieren verschiedene Bereiche des menschlichen Lebens. Die Tanzgruppe steht für die unbedingte Hingabe an das Leben, für Urwüchsigkeit, Freiheit, vielleicht auch für Sexualität; die Wiesennymphe oder Venus für Naturverbundenheit und kontemplativer Liebe; die Bauern gemahnen uns an die Arbeit, an die harten Seiten des Lebens; und Maria und das „Lamm Gottes“ geben uns den Glauben.

Der die gesamte Himmelszone einnehmende Blumenstrauß kündet von heiteren Spaziergängen im Sommer – ein „Sommertraum“, so nannte Fritz Griebel sein Bild selbst. Vielleicht ließ sich er von Ausflügen in die fränkische Schweiz zu diesem Bild inspirieren. Bei der Berglandschaft im Hintergrund könnte es sich um das Walberla, einer dortigen Bergformation handeln. Doch ist das hier vorgestellte Bild weit mehr als ein Blumenstillleben. Es gibt uns darüber hinaus Aufschlüsse über Fritz Griebels Einstellung zum Leben selbst: Geleitet von Gottes Wort, sich des Lebens erfreuen.

Antje Buchwald