Stillleben mit Flaschen

Fritz Griebel: Stillleben mit Flaschen, 1932, Papier collé, 60 x 47 cm.

Die frühen 1930er Jahre waren für Fritz Griebel eine Phase des künstlerischen Experiments. In Malereien und Kreidezeichnungen setzte er sich mit surrealistischen Sichtweisen auseinander, in seinen Scherenschnitten ist eine Hinwendung zum Formengut der Antike zu beobachten. Griebel beschäftigte sich zudem mit den Bedingungen der Collage bzw. des Papier collé (geklebtes Papier), wie sie von Braque (1881-1963) und Picasso (1881-1973) ab 1912 entwickelt wurden.

Im Zuge der kubistischen Malerei, die geprägt ist vom Verzicht der Zentralperspektive sowie des Aufgliedern des Gegenstandes in geometrische Formen, entwickelte Braque die Kunsttechnik der Papier collé. Fragmentierte, außerkünstlerische Materialien wie faux bois-Tapete (eine mit Holzmaserung versehene Tapete), Zeitungspapier usw. wird hierbei in das Bild geklebt. Als Bildgrund diente oft ein Bogen Papier, auf dem die fragmentierten, flächigen Alltagsgegenstände geklebt wurden, welche durch Zeichnungen ergänzt, mit Strichen und Schattierungen umgeben bzw. übermalt wurden, um sie in den neuen Bildkontext formal zu integrieren. Das industriell gefertigte Fremdmaterial ist hierbei nicht autonom, sondern unterliegt der malerischen Konzeption des Bildes als Fläche. Es konturiert keine eigenständige Form, da gerade ihre Ungeformtheit Bedingung für die Darstellung und das Erkennen einer bestimmten Gegebenheit sind.

Georges Braque: Obstschale und Glas, 1912, Kohle u. geklebtes Papier.

Auch die aus den Papiers collés am Übergang zum Synthetischen Kubismus entwickelte Collage, die jegliches Fremdmaterial aus der Alltagswelt auf der Bildfläche integrieren kann, weist den flächig gebrauchten Elementen keine Autonomie zu. Die Komposition wird mit Juxtaposition („dicht daneben“) und Kombination erreicht.

Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, dass es sich bei dem hier vorgestellten Werk nach strenger Definition um ein Papier collé handelt. Wir sehen vier unterschiedlich große und geformte Flaschen auf einem Tisch. – Aber, wie ist es möglich, dass wir solche Gegenstände erkennen? Fritz Griebel klebte lediglich Papiere in Blau- und Braunabstufungen auf ein Blatt Papier. Doch schauen wir genauer hin. Auf einem beigefarbenen Blatt Papier, welches Griebel einigermaßen rechteckig ausschnitt und horizontal auf den Bildträger klebte, verteilte er vier längliche Papierstreifen, wobei der linke Streifen hinter dem beigefarbenen Blatt Papier geklebt ist. Bei einem Papierstreifen schnitt Griebel einen Bogen hinein, der sofort eine Flaschenform assoziiert.

Pablo Picasso: Stillleben mit Rohrstuhlgeflecht, 1912, Collage.

Wesentlich für die Entschlüsselung des künstlerischen Gegenstands sind jedoch die gezeichneten Linien auf den einzelnen Papierformen. Die Anordnung von Geraden und Kreisformen genügt, um simultan mit den ausgeschnitten Papierformen eine Gegebenheit zu assoziieren und zu konstruieren. So können die zwei dünnen schwarze Papierstreifen, die neben den braunen Flaschen zu beobachten sind, als Schlagschatten gedeutet werden. Das als Tischkante wahrgenommene Papier in der äußersten linken Flasche kann zudem eine Spiegelung in der Glasflasche sein.

Bestimmend für das Papier collé bzw. Collage ist eine Spannung, die zwischen ästhetischem Bildkontext und den aufgeklebten Fremdmaterialien konstituiert wird. Fremd sind die Materialien insofern, als dass sie in einem anderen Medium und anderem Stil gefertigt wurden. So zeichnete Braque in seinem Stillleben „Obstschale und Glas“ zwei Objekte – Glas und Obstschale – vor dem aufgeklebten faux bois-Papier. Es suggeriert sowohl den Tisch, auf dem die Gegenstände stehen, als auch die Wand dahinter. An exponierter Stelle sind Weintrauben und die Worte «ALE» und «BAR» gezeichnet. Das faux bois-Papier als reale Einzelheit verweist auf den Realitätscharakter des Kunstwerkes. Doch ging es kubistischen Künstlern nicht um die eine Realität, sondern um verschiedene Möglichkeiten, sich Realität vorzustellen. Picasso hätte in seinem berühmten „Stilleben mit Rohrstuhlgeflecht“ auch ein tatsächliches Rohrstuhlgeflecht eines Stuhles einfügen können.

Fritz Griebel hingegen interessiert sich nicht für die Integration vorgefundener Alltagsmaterialien in einen Bildkontext, sondern um die künstlerische Gestaltung an sich. Allein aus wenigen geschnitten Papieren und ein paar Linien, gelingt es Griebel eine Entität zu evozieren. Seine Papiers collés zeichnen sich durch Experimente mit diversen künstlerischen Techniken, wie Scherenschnitt, Zeichnung und Tuschmalerei aus. Hierbei knüpft er an die vom Kubismus geforderte Konstruktion des Gegenstandes aus Formenschemen im Bewusstsein des Betrachters an. Doch dies erfolgt im Gegensatz zur kubistischen Collage bzw. Papier collé nicht durch Polyperspektivität, d.h. aus einer Kombination aus Facettensystem und partialen gegenständlichen Beziehungswerten, sondern durch ein Bezugssystem geschnittener Papierformen und Zeichnung.

Antje Buchwald