Heilige Familie

Heilige Familie, 1964, Aquarell, 30 x 40 cm, FG 0553

Fritz Griebel holte sich für seine Bildwelten oft Inspiration aus dem Bildmaterial antiker Kunst und Alltagskultur, aus den sogenannten Klassikern der Moderne wie beispielsweise Cézanne, van Gogh oder Kandinsky, von (barocken) Scherenschnitten, aber auch von volksfrommer Hinterglasmalerei, wie dieses Werk des Monats belegt.

Das Aquarell zeigt in naiver Malweise die Heilige Familie auf dem Rückweg von Betlehem nach Nazareth in Galiläa. Maria reitet im Damensitz auf einen Esel, den neugeborenen Jesus auf dem Arm haltend. Josef mit Reisehut und Wanderstab ausgerüstet hält die Zügel des Tieres in einer Hand fest. Die Familie, die von einem Kind beklatscht wird, blickt den Betrachter frontal an. Rote Rosen scheinen vom wolkenverhangenen Himmel zu regnen.

Die Rose ist ein marianisches Symbol. Gemäß dem Mythos aus dem Blut des sterbenden Adonis erwachsen, wurde sie früh zum Attribut, ja zum Sinnbild der Aphrodite. Später wurde sie als Inbegriff weltlicher und geistlicher Schönheit und Minne zum bevorzugten Symbol Mariens. Bereits im 5. Jahrhundert verglich der Dichter Sedulius die Gottesmutter mit der stachellosen Rose. Nach Dante (1256–1321) war sie sogar der Ort ihrer Apotheose. Im Paradiso schaut der Dichter die weiße Himmelsrose, in deren Kelch die Gottesmutter thront, umgeben von Heiligen auf Blütenblättern. Als „rosa mystica“ – „geheimnisvolle Rose“ – wird Maria in der Laurentinischen Litanei, einem gemeinschaftlichen Gebetes mit Wechselgesang, in der katholischen Kirche seit dem 16. Jahrhundert angerufen, ebenso als „Rose ohne Dornen“ sowie als Königin des Rosenkranzes. Mit Bezug auf Jesaja wird Maria in dem Weihnachtslied „Es ist ein Ros‘ entsprungen“ aus dem 16. Jahrhundert als das „Reis aus der Wurzel Jesse“, der Abstammung Jesu aus dem Hause des Königs David, besungen, das die Rose Jesu hervorbringt.

Neben der einfachen Malweise Griebels sind es vor allem die leuchtenden Farben, die den Betrachter sofort in den Bann ziehen. Sie erinnern an religiös-volkstümliche Hinterglasbilder, bei denen auf der Rückseite der Flachglasscheiben die Motive seitenverkehrt aufgemalt wurden. Bereits in der Hochkunst der Antike bekannt, waren es Künstlerinnen und Künstler der Klassischen Moderne, die die Hinterglasmalerei für sich neu entdeckten und beeindruckende Werke schufen. Besonders Künstlerinnen und Künstler des „Blauen Reiter“ sind hier zu nennen. Ihre Beweggründe waren die Aneignung regionaler Techniken, Aufwertung des Kunsthandwerks, Experimentierfreudigkeit und einem Interesse an nicht-akademischen Werkstoffen jenseits des Kunstkanons.

Griebel besaß seit den späten 1930er-Jahren selbst zwei religiöse Hinterglasbilder wohl aus dem Bamberger Antiquitäten-Handel. Sie zeigen zum einen das Jesuskind mit Heiligenschein und Weltkugel und zum anderen den Heiligen Martin; beide sind auf blauen Fond und von Blumen umrandet.

Im Gegensatz zu den Avantgardisten des frühen 20. Jahrhunderts, setzte sich Griebel nicht mit der Technik der Hinterglasmalerei auseinander, sondern ließ sich lediglich von Motivik und Stilistik inspirieren: Formvereinfachung, Schematisierung und Expressivität der Farben.

Antje Buchwald

Dezember 2020

Literatur

R. Schumacher-Wolfgarten: Stichwort Rose. In: LCI, Lexikon der christlichen Ikonographie. Rom/Freiburg/Basel u.a. 1994/2004, Bd. 3, Sp. 563–568.

http://hinterglas-klassischemoderne.de/ (10.11.2020)