Dieses erst kürzlich entdeckte hochformatige Porträt zeigt den Künstler Alexander “Alex” Rihm (1904–1944), Fritz Griebels Cousin. Rihms Vater war wie Griebels evangelischer Pfarrer. Nach dem Abitur in Konstanz studierte Alex Rihm Malerei an der Landeskunstschule (heute Staatliche Akademie der Bildenden Künste) in Karlsruhe, wo er Meisterschüler von Ernst Würtenberger (1868–1934) wurde. Fritz Griebel traf er spätestens, als er sein Studium 1925 an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst (heute Hochschule der Künste) in Berlin fortsetzte. Griebel studierte bereits seit 1922 in Berlin.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Griebel ihn, wie seinen Freund Georg Holl (1901–1978), ermunterte, sich mit dem Scherenschnitt auseinanderzusetzen. Die überlieferten Schwarzschnitte weisen stilistische Bezüge zu Griebels Schnittbildern aus dieser Zeit auf. Rihm und Griebel beendeten 1927 ihr Malereistudium. Griebel kehrte nach Heroldsberg zurück, Rihm nach Singen und begann, um sein handwerkliches Können zu verfeinern, eine Malerlehre.
1935 zog er nach Konstanz und gründete mit anderen Bodenseekünstlern die „Neue Konstanzer Malergruppe“, die 1940 aufgelöst wurde. In diesem Jahr wurde Rihm kriegsverpflichtet und zum Luftnachrichtentrupp nach Böhmen eingezogen. 1944 verstarb er beim Baden in einem See nahe Lestina, südlich von Prag, an einem Herzschlag.
Als Harlekin verkleidet, den Kopf nach links geneigt, den rechten Arm lässig in die Hüften gestützt und die Beine überkreuz stehend, hielt Griebel seinen Cousin für die Nachwelt fest. Er trägt das typische Kostüm mit Rautenmuster in gelb, rot, blau. Barfuß steht er auf einem bräunlichen Teppich, auf den rechts eine grüne Decke hingeworfen wurde. Die Fersen sind etwas nach oben gezogen– fast tänzelnd oder springend. Der Kopf ist etwas nach hinten geneigt. Das Gesicht ist im Profil gemalt. Es ist im Wangenbereich leicht verschattet. Die Augen blicken in die Ferne. Rihms Nase ist markant. Die Lippen sind voll, und das dunkle kräftige Haar ist leicht zerzaust.
Rihms Pose erinnert an ein Modell beim Aktzeichnen an einer Kunstakademie. Dabei wirkt der Oberkörper statisch, während der Unterkörper durch das linke angewinkelte Bein und die etwas vom Boden hochgezogenen Füße eine inne gehaltene Bewegung suggerieren.
Es ist durchaus denkbar, dass das Bild während des Studiums in Berlin entstand. Motivisch und stilistisch ist es an Paul Cézannes (1839–1906) „Harlequin“ angelehnt. Für den französischen Impressionisten posierte sein Sohn Paul im Harlekinkostüm mit Bicorn-Hut und Holzschwert, welches Harlekin als Possenreißer auszeichnet. Sein Gesicht wirkt schemenhaft, wie zu einer Maske erstarrt. Es ist eines von vier Kostümstücken, die Cézanne zwischen 1888 und 1890 malte.
Griebels Harlekin steht vor einer weiß verputzten Wand. Ein weißes Tuch ragt links ins Bild hinein. Cézanne drapierte einen grünen Vorhang oben ins Bild hinein. Dieser Vorhang wird bei Griebel zu der am Boden liegenden Decke oder Tuch mit ausgeprägtem Faltenwurf. Beide Künstler konzentrierten sich auf die Einsamkeit, die Abgeschiedenheit der Figur des Harlekins.
Sie ist theatralischen Ursprungs. Bekannt seit dem 12. Jahrhundert, taucht sie in der Commedia dell‘arte, der Commedia Italiana und anderen komödiantischen Ausprägungen auf. Das moderne Harlekin-Theater entstand in Frankreich im 16. Jahrhundert, auch im Kontext von Gauklern, Akrobaten und des Fahrenden Volks. Der Harlekin ist ein Gestaltwandler. Er nimmt verschiedene Rollen an, wobei sein Flickenkostüm immer wieder durchscheint, manchmal auch ein Horn oder Beule als Beweis seiner teuflischen Natur. Er trägt eine schwarze Maske als Symbol seines Umherspringens zwischen den Welten: zwischen Engel und Teufel, gut und böse, Himmel und Hölle, Diener und Herr. Er spielt mit der Weltordnung. Er betritt die Bühne (der Welt) mit einem Sprung: „Eccomi!“ – „Da bin ich!“
Künstler vom 18. bis zum 20. Jahrhundert waren fasziniert von der Figur des Harlekins, wobei sie ihr oft melancholische Züge verliehen. Für Theophrast (um 371 v. Chr.–um 287 v. Chr.) war Melancholie Voraussetzung für die „mania“, den „göttlichen Wahnsinn“, den unter anderem auch Künstler hätten. Der Harlekin ist ein Spieler, der mit allem spielt: Gut und Böse, Fiktion und Realität, Recht und Unrecht. Dadurch schafft er Freiräume der Kreativität. Er ist der Strippenzieher des Kosmos. Er hält die schöpferische Kraft der Zwischenräume am Leben. Er ist der „Genius des Lebens“.
Griebels Harlekin ist nicht nur ein akademisches Lehrstück. Er ist Symbol der Kreativität, des Künstlers schlechthin.
Antje Buchwald, März 2021
Literatur:
Rudolf Münz: Theatralität und Theater. Zur Historiographie von Theatralitätsgefügen. Mit einem einführenden Beitrag von Gerda Baumbach, herausgegeben von Gisbert Amm. Berlin, 1998, S. 60–65; Zitat S. 60.
Hans Vollmer: Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler des 20. Jahrhunderts. Leipzig 1999, Bd. 4, S. 69.