Hast du Capri gesehn und des felsenumgürteten Eilands
Schroffes Gestad als Pilger besucht, dann weißt du, wie selten
Dorten ein Landungsplatz für nahende Schiffe zu spähn ist:
Nur zwei Stellen erscheinen bequem. Manch mächtiges Fahrzeug
Mag der geräumige Hafen empfahn, der gegen Neapels
Lieblichen Golf hindeutet und gegen Salerns Meerbusen.
Aber die andere Stelle (sie nennen den kleineren Strand sie)
Kehrt sich gegen das ödere Meer, in die wogende Wildnis,
Wo kein Ufer du siehst, als das, auf welchem du selbst stehst.
Nur ein geringeres Boot mag hier anlanden, es liegen
Felsige Trümmer umher, und es braust die beständige Brandung.
August Graf von Platen: Die Fischer auf Capri (1827)
Fritz Griebel zog es wie viele Künstler seit dem 18. Jahrhundert »in das Land wo die Citronen blühn«. Er bereiste Italien zum ersten 1924 und 1969 zum letzten Mal. 1933 reiste er nach Capri. Capri, eine Felseninsel im Golf von Neapel, gehört zur Provinz Neapel und ist bekannt für ihre Höhlen am Meer, deren bekannteste die Blaue Grotte ist.
Fritz Griebel wählte ein eher unspektakuläres Motiv. Es zeigt im Vordergrund am Strand liegende Fischerboote. Sie sind der einzige Farbtupfer in diesem von Blau und Braun bestimmten Bild. Direkt hinter den Booten – in der Bildmitte – sehen wir zwei kleinere Felsen. Sie führen den Blick auf das weite offene Meer, auf dem in der Ferne ein Segelschiff angedeutet ist. Gerahmt wird die Komposition von zwei Felsen. Die Farbgestaltung der Felsen, rechts braune und links schwarze Felsen, wiederholt sich in den beiden Felsen im Vordergrund des Bildes. Das Segelschiff, welches im Auge des Betrachters langsam in die Bildmitte fahren könnte, würde so die Komposition harmonisieren. Aber das lag nicht in der Intention des Malers.
Was wir hier sehen, ist nichts anderes als ein ausgetüftelter Schnappschuss. In einem Aquarell, welches Griebel durchaus vor Ort schnell gemalt haben könnte, finden wir die vergleichbare Situation wie in der Ölfassung. Insgesamt wirkt das Bild aber heller, luftiger und freundlicher. Aber es fehlen wesentliche Elemente, die das Ölbild wiederum zu einer ausgewogenen Komposition machen.
So fehlt im Aquarell der linke schwarze Felsen sowie das sich im Vordergrund befindende, mit der Unterseite nach oben gelegte Boot. Diese beiden Bildelemente sind wesentlich. Sie verleihen dem Bild erst die Spannung und bilden ein Korrelat zum Segelschiff.
Insbesondere die malerische Darstellung von Horizont und Meer stehen in der Tradition des 19. Jahrhunderts. Bedenkt man, dass Fritz Griebel in den 1930er-Jahren seine surrealistische Phase hatte, so ist diese Bild, das mehr als eine bloße Urlaubsimpression ist, ein weiterer Beleg für seinen Stilpluralismus. Dieses Werk des Monats veranschaulicht mit seiner Entstehungsgeschichte Griebels Transformationsprozess von einer Gegebenheit in Kunst.
Antje Buchwald