In den 1930er Jahren setzte sich Fritz Griebel verstärkt mit antiker Mythologie auseinander. Das hier vorgestellte Bild zeigt eine weibliche Aktfigur, die auf Grund ihrer üppigen Formen keine klassische Skulptur rezipiert. Vielmehr deutet Griebel mit den weiblichen Formen einen Bezug zum großen Füllhorn an, welches die Figur in ihrem linken Arm hält.
Das Füllhorn diente in der Antike wahrscheinlich zur Weinlese. In der griechischen und römischen Mythologie wird es als Attribut für die Nymphe Amalthea, die den Göttergott Zeus mit Ziegenmilch aufzog verwendet; nach anderen Quellen war die Nymphe selbst die Ziege. Weiterhin wird das Füllhorn bei Gottheiten der Erde (Gaia), des Friedens (Eirene), des Schicksals (Tyche) und des Reichtums (Plutos) als Attribut verwendet. Für Darstellungen der vier Jahreszeiten dient das Füllhorn, das ein trichterförmig geformter Flechtkorb ist, als Attribut des Herbstes.
In diesem Bild stellt die weibliche Figur sehr wahrscheinlich die römische Göttin Abundantia, die Göttin des Überflusses, dar. Zwar wurden ihr zu Ehren keine Tempel errichtet, doch wurde sie häufig auf römischen Kaisermünzen nach dem Ideal der griechischen Göttin Demeter, der Göttin der Erde, abgebildet. Hierauf ist die Göttin Abundantia mit einem Füllhorn, aus dem sie Geld ausschüttet sowie mit Ähren in der Hand dargestellt.
Mit wenigen und raschen Strichen ausgeführt stellt Fritz Griebel dem Betrachter die Fülle an Lebensmitteln – Obst, Fleisch und Getreide vor Augen. Die farblichen Akzente verlebendigen den Reichtum der Natur.
In Anbetracht der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Zustände,die in Europa und den USA herrschten, als Griebel diese Zeichnung anfertigte, kann das Füllhorn nicht nur als Symbol des Glücks, des Reichtums, der Fruchtbarkeit und des Überflusses interpretiert werden, sondern auch als Hoffnung – Hoffnung auf bessere Zeiten.
Antje Buchwald